Kolumne Tokio-Hotel:Nachtzug nach Nerima

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Zugereiste fahren in der Pandemie nicht Zug; Zugereiste wohnen im Stadthotel. (Foto: Carl Court/Getty)

Zuhause in Japan? Das muss nicht unbedingt ein Vorteil für einen Olympiareporter sein, wenn er zugleich Tokiobewohner ist.

Von Thomas Hahn, Tokio

Nach Japan zu ziehen, war von Anfang an eine blöde Idee. Schon die ersten Stunden im Sprachkurs waren schwierig. Und jetzt steht man hier in der Schlange und hat den Salat. Taxistand vor dem Bahnhof von Ikebukuro. Nacht. Wegen der Pandemie haben die Züge schon um 24 Uhr Dienstschluss. Um 24 Uhr fängt für einen Olympia-Reporter der letzte Akt des Tages erst an. Vor allem wenn man etwas außerhalb wohnt.

Die zugereisten Reporter haben es gut. Die gelten hier ja als potentielle Coronavirus-Träger. Deshalb dürfen sie in den ersten zwei Wochen ihres Tokio-Aufenthalts nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Und für den Fall, dass kein Olympia-Bus geht, bekommen sie für ihre Einsätze an den Sportstätten Gutscheine für Privatfahrdienste. Die bringen die Herrschaften dann direkt in ihre Stadthotels. Der Tokiobewohner kriegt solche Gutscheine nicht. Der kriegt eine Freikarte fürs Zugfahren. Super. Aber eben nur bis 24 Uhr.

Drei Nächte im Pressezentrum und 300 Euro Taxigeld hat dieser Umstand schon gekostet. Da fragt man sich, was man davon hat, Einwohner zu sein. Nur Scherereien. Wenn man irgendwann doch mal nach Hause kommt, wartet schon die Telefonrechnung im Briefkasten. Es müsste gesaugt werden. Die Wäsche ist dreckig. Früher ist man halt in die Olympiastadt gereist, musste sich um nichts kümmern und wohnte auch in der Nähe von allem. Jetzt lebt man im olympischen Tokio, aber natürlich nicht bei den Sportstätten. Sondern in Nerima, entfernter Westteil, wo Tokio ungefähr so aufregend ist wie Rotenburg an der Wümme.

Klar, sie haben hier in den 24-Stunden-Supermärkten ein sehr gutes Steckerl-Eis. Überhaupt Essen. Ein Vorteil, wenn man weiß, wo was ist. Und wenn man jederzeit eine Runde um den Block drehen kann. Die zugereisten Reporter haben es schlecht. Sie dürfen ja nicht raus. Außerdem: Wer mag schon Hotelbetten. Zur Schießsportanlage kann ich zu Fuß gehen. Und überhaupt: Spannend, Tokios olympischen Wahnsinn über längere Zeit zu erleben. Nach Japan zu ziehen, war eigentlich von Anfang an eine brillante Idee.

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