Kitzbühel:Keiner fädelt ein beim Einkehrschwung

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Keine normale Hahnenkammwoche: Wo sich abseits des Ski-Alpin-Weltcups gewöhnlich tausende Menschen durch den Kitzbühler Ortskern drängen, sind die Straßen heuer Pandemie-bedingt ziemlich leer. (Foto: Helmut Fohringer/AFP)

Die Après-Ski-Tempeln bleiben geschlossen, die Weißwurstparty platzt: der gewohnte Ausnahmezustand in Kitzbühel fällt aus - und hinterlässt eine seltsame Stille, wo sonst Bässe wummern.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Wenn Sie als Reporter für eine Weile durch den alpinen Ski-Weltcup ziehen, kehren Sie meist in vertrauten Unterkünften ein. Manchmal stoßen Sie im Laufe der Jahre dabei auf richtige kleine Schätze. Das Weltcup-Wochenende in Kitzbühel ist für ein paar meiner Kollegen und mich in dieser Hinsicht vielleicht der schönste Halt von allen auf der Tournee.

Wir wohnen dann meist auf einem Bauernhof, nur ein paar Fahrminuten vom Zielraum der Hahnenkammrennen entfernt. Die Besitzer haben unter dem Dach zwei Apartments eingerichtet, beide sind wunderschön ausgestattet und verfügen beizeiten über einen recht wackeligen Internetempfang, der Zeit für so Dinge schafft wie Kochen, Lesen oder Spieleabende. Wenn Sie vor die Tür gehen, sehen Sie in der Ferne, wie sich die Streif-Abfahrt ins Tal schlängelt, unmittelbar davor sehen Sie aber auch: Leere in ihrer schönsten Form. Mit Schneefeldern und einem Wald, hinter dem sich ein See versteckt, wie ich in diesem Jahr gelernt habe, mit Langlaufloipen und Winterwanderwegen. Ich habe es schon immer gemocht, nahe dran zu sein, aber nicht mittendrin. Gerade wenn sich im benachbarten Kitzbühel an einem gewöhnlichen Weltcup-Wochenende Zehntausende Zuschauer durch ein Dorf mit 8300 Einwohnern zwängen.

Die diesjährige, in vielerlei Hinsicht sehr ungewöhnliche Hahnenkammwoche fühlte sich für uns von daher gar nicht so anders an. Als wir in den vergangenen Tagen vor die Tür gingen, sahen wir in der Ferne die Streif, und wenn wir morgens rechtzeitig aufstanden und über die Winterwiese und durch den Wald wanderten, erreichten wir den zugefrorenen See genau dann, als sich die Sonne gerade neben dem Kitzhorn hervorschob.

Aber irgendwas war dann doch ziemlich anders.

Die Stille schätzt man ja oft erst dann so richtig, wenn man aus dem Lärm kommt, so wie der Skirennfahrer die Enttäuschung braucht, um das süße Gefühl seiner Siege auszukosten. Und was Lärm und Spektakel anging, hatte Kitzbühel in diesem Jahr nicht gerade allzu viel zu bieten. Oder wie der Wiener Kurier schon zu Beginn dieser Hahnenkammwoche getitelt hatte (und damit sämtliche Wortspiel-Wettbewerbe vorzeitig für sich entschied): "Habe die Leere!"

Das alles war natürlich dem strengen Corona-Protokoll geschuldet, und man muss den Kitzbüheler Ausrichtern und allen Verantwortlichen attestieren, dass sie das in den vergangenen Tagen wirklich hochseriös abgewickelt haben: Eine Streif-Woche, die ein bisschen Normalität schuf, aber kein Spektakel, zumindest was das Drumherum betraf. Das kam, ganz pandemiegerecht, ohne Zuschauer aus, ohne Bässe, die am Freitag- und Samstagabend aus den Après-Ski-Tempeln wummern, ohne Betrunkene, die vom Weg der Piste Richtung Innenstadt am Wegesrand einschlafen, ohne Weißwurstpartys und Promis, für die zur Unterhaltung ein bisschen Skifahren geboten wird.

Keine normale Hahnenkammwoche: Wo sich abseits des Ski-Alpin-Weltcups gewöhnlich tausende Menschen durch den Kitzbühler Ortskern drängen, sind die Straßen heuer Pandemie-bedingt ziemlich leer. (Foto: Helmut Fohringer/AFP)

Man mag dazu stehen, wie man will. Es fühlte sich jedenfalls fast schon ein bisschen ungehörig an, in den vergangenen Tagen durch den für den Verkehr zugänglichen Ortskern zu schlendern, in der sich deutsche Sportwagen mit Schweizer Kennzeichen routiniert an den pastellfarbenen Häusern vorbeischoben. Mein Streif-Fazit in diesem Jahr fällt jedenfalls so aus: Schon nett, aber manchmal müssen 50 000 Menschen einen Ort auch mal in den Ausnahmezustand zwängen dürfen. Schon allein, weil wir dann auf unserem Bauernhof in Ruhe darüber lästern können, dass dieser Wahnsinn jetzt auch mal bald wieder vorbei sein darf.

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