Jürgen Brähmer:Wie der Problemboxer das Feingefühl entdeckt

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Erwartet wird ein Sieg: Die deutschen Profis haben zuletzt oft enttäuscht, Tyron Zeuge (links) und Jürgen Brähmer sollen wieder Erfolge liefern. (Foto: Eibner/imago)
  • Tyron Zeuge boxt am Samstag um den letzten verbliebenen WM-Gürtel, den Deutschland noch hat. Gegen den Nigerianer Isaac Ekpo geht es um die Titelverteidigung in der WBA.
  • Sein Trainer ist Jürgen Brähmer, der in seiner neuen Rolle als Betreuer eine zuvor unentdeckte Leidenschaft gefunden hat.
  • Zwei Mal saß Brähmer im Gefängnis, nun hat er einen beeindruckenden Lebenswandel vollzogen und klare Vorstellungen von der Zukunft seines Sports.

Von Saskia Aleythe, Schwerin/München

Starre Wege waren nie eine Sache von Jürgen Brähmer, und wenn er sein Training mit dem Boxer Tyron Zeuge erklärt, dann blickt er auch über das Sportliche hinaus. 1,79 Meter groß ist Zeuge, mit 24 Jahren darf man freilich von ausgewachsen sprechen, doch sein Trainer Brähmer hat Veränderungen erkannt. "Er wächst mit seinen Aufgaben", sagt er; zwölf Wochen war der Supermittelgewichtler nun zur Kampfvorbereitung in Schwerin, getrennt von seiner Neuköllner Heimat. "Für das Training ist das vielleicht besser und für ihn persönlich auch", findet Brähmer, "einfach, um erwachsener zu werden." Und die Vielfalt an Wegen, die man betreten kann - wer würde sie besser kennen als er?

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Es gab mehrere Momente im Leben von Jürgen Brähmer, 38, in denen sein Umfeld den Glauben an ihn verloren hatte, an seine Karriere als Boxer, an einen ordentlichen Lebensweg, an eine Zukunft. Aus dem hoch veranlagten Sportler wurde ein Problemboxer, der die Bösen-Buben-Bilder lieferte, die der Sport lange pflegte. Es ist eine feine Pointe, dass ausgerechnet er nun am Samstagabend in Potsdam an der Ringecke steht, in gewichtiger Mission: Nur noch einen Box-Weltmeister hat Deutschland im Moment, eben jenen Tyron Zeuge, der gegen den Nigerianer Isaac Ekpo zur Titelverteidigung um den WBA-Gürtel antritt. Für Brähmer ist diese Aufgabe eine Belohnung, ein Zeichen: Auch er ist in den vergangenen Jahren gewachsen.

Der Familienvater hat sich geändert

Karriereende, das ist ein Wort, das Brähmer immer wieder einholte, wenn die persönlichen Tiefpunkte seinen Aufstieg blockierten. 23 Jahre ist es her, dass er zum Boxen fand, als 15-jähriger schüchterner Junge aus Stralsund wurde er von seinem späteren Trainer Michael Timm ans Sportinternat in Schwerin gelotst, von Beobachtern als riesiges Talent geadelt, von falschen Freunden und privaten Problemen vom Weg abgebracht. Gefährliche Körperverletzung, Fahrerflucht und weitere Delikte führten ihn zwei Mal hinter Gitter, 2011 entkam er einer dritten Haftstrafe erst durch ein Berufungsverfahren. Heute ist er Familienvater, seit einem Jahr Boxer und Trainer in Doppelfunktion. Dass es so positiv gekommen ist, wundert Brähmer manchmal selbst. "Als Familienvater habe ich eine Verantwortung, die ich so früher nie hatte", sagt er, "den neuen Herausforderungen habe ich mich gestellt und bin nun sehr glücklich."

Dass er in seiner neuen Rolle als Trainer voll aufgeht, merkt man schnell. "Einen Trainingsplan zu erstellen, ist die eine Sache", sagt er, "aber dann gibt es noch eine, die nicht einfach ist: Man muss einfühlsam sein, um zu sehen: Wie fühlt sich der Sportler gerade? Da muss man variabel sein und kreativ." Er will seinen Boxern mehr bieten, als sie nur zu drillen. "Viele Talente sind früher verbrannt worden, durch zu starre Trainingskonzepte", sagt Brähmer, "du kannst nicht alle durch die gleiche Maschine laufen lassen." An seiner eigenen Trainer-Arbeit hat er einen Reiz entdeckt: "Wenn du Leute entwickeln kannst und sie deine eigenen Ideen umsetzen, ist das ein toller Moment."

In Tyron Zeuge hat er einen Sportler gefunden, der ihm viel abverlangt. Er ist ein Boxer, der Abwechslung braucht und Freiraum zur Regeneration, alles andere schlägt ihm aufs Gemüt. Zeuge ist ein lockerer, fröhlicher Mensch, will nach dem Kampf nicht viel mehr als Currywurst essen und mit der Freundin in den Urlaub fliegen. "Wir haben extrem harte Einheiten, da ist Tyron nicht mehr zu Scherzen aufgelegt", sagt Brähmer, aber die stünden in einem guten Verhältnis zur Regeneration. Von seinen 20 Profikämpfen hat Zeuge 19 gewonnen, einer endete unentschieden.

Den Rückkampf gegen den Italiener Giovanni de Carolis gewann er im November und damit seinen ersten WM-Titel. Brähmer lobt Zeuge: "Er hat eine enorme Grundschnelligkeit und Explosivität", doch etwas stört ihn auch: "Seine Bequemlichkeit. Wenn er sich vor den Gegner einfach so hinstellt und sich sagt: Och, jetzt mache ich Pause." Gegen Isaac Ekpo, 34, der von 33 Kämpfen 31 gewann, sieht Brähmer dennoch keine Gefahr. Zeuge müsse den Kampf einfach nur ruhig angehen, wachsam bleiben und auf den richtigen Moment warten.

Enthusiasmus und klare Konzepte für die Zukunft

Nach zuletzt vielen Enttäuschungen sind die Hoffnungen im Sauerland-Boxstall groß. "Eine Niederlage von Tyron Zeuge wäre eine Katastrophe", sagt Kalle Sauerland, der Zeuge und Brähmer vertritt. Er weiß, dass in den Ü30-Boxern Arthur Abraham, Jack Culcay oder Marco Huck nicht die Zukunft liegt. Auch hinter Brähmers eigener Boxerkarriere steht ein Fragezeichen. Nach mehreren WM-Titeln im Halbschwergewicht habe er noch etwas "geradezurücken", findet er, im Oktober hatte er wegen einer Verletzung gegen Nathan Cleverly aufgeben müssen. "Gedanklich ist die Entscheidung zum Rücktritt noch nicht gefallen", sagt er, und doch ist offensichtlich, dass er längst in seiner zweiten Karriere steckt.

Kürzlich hat er ein altes Wasserwerk in Schwerin gekauft, er will dort ein eigenes Box-Gym aufbauen, vielleicht sogar einen eigenen Boxstall. Schon länger arbeitet er mit Boxern und Trainern vom Olympiastützpunkt in Schwerin zusammen, Kooperationen zwischen Amateuren und Profis hat jüngst auch der Weltverband Aiba offiziell zugelassen. "Wenn du den Nachwuchs förderst, weißt du auch, dass bei den Profis gute Leute ankommen", sagt Brähmer. Amateur-Trainer dürfen nun auch Profis anleiten. So kommt es, dass Brähmer am Samstag wieder mit dem Mann in der Ringecke stehen wird, der ihn einst zum Boxen gebracht hat: Amateur-Coach Michael Timm. Er war Brähmers Trainer und Bewährungshelfer, nun komplettiert er das Team um Zeuge. "Es konnte nichts Besseres passieren", findet Brähmer. Was auch unter dem Fortgang seiner Karriere stehen könnte.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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