Judo:Die Kleinstadt auf der Matte

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Ausnahmsweise reicht es nicht ganz für Abensberg, auch wenn Lukas Vennekold hier obenauf ist gegen Esslingen. (Foto: Alois Steffl/oh)

Beim Final Four der Judo-Bundesliga verpasst der TSV Abensberg nur knapp seine 24. deutsche Meisterschaft. Dabei wird der niederbayerische Rekordmeister weniger vom Verband gefördert als die Bundesstützpunkte. 

Von Philip Kearney

"Döp, döp, döp", schallte es am vergangenen Samstag um kurz nach zehn Uhr aus den Boxen der ausverkauften Josef-Stanglmeier-Halle, als die Judoka des TSV Abensberg unter großem Applaus beim Final Four der Judo-Bundesliga in ihre Halle einliefen. TSV-Trainer Radu Ivan hielt den Moment von der Pressetribüne aus mit seinem Handy fest. "Heute sind wir das Mekka des europäischen Judos", rief der Hallensprecher den 700 Zuschauern zu. "Ganz Judo-Deutschland blickt heute nach Abensberg." Die Menge jubelte. In der Kommentatoren-Box beobachteten der Olympiasieger von 2008, Ole Bischof, die Jugendolympiasiegerin von 2018, Raffaela Igl, und Sebastian Seidl, der 2021 im olympischen Teamwettbewerb in Tokio die Bronzemedaille gewann, das Geschehen. Die drei Abensberger kommentierten das Final Four im Livestream für all jene Judofans, die nicht live dabei sein konnten in der niederbayerischen Kleinstadt.

Im Halbfinale setzten sich die Gastgeber mit 9:5 gegen das Hamburger Judo Team durch, den Finalgegner aus dem Vorjahr. Im Finale trafen sie dann auf das mit WM-Teilnehmern gespickte Team des KSV Esslingen. Bis zum Schluss blieb es spannend, dann war klar, dass es ein Novum gab: Nicht Rekordmeister Abensberg setzte sich durch, sondern der KSV Esslingen, mit 8:6. Nach acht zweiten Plätzen feierte das Team aus Baden-Württemberg seinen langersehnten ersten Titel - für den TSV Abensberg wäre es bereits die 24. deutsche Meisterschaft gewesen. Trotz dieser Niederlage ist der Judoklub aus dem Landkreis Kelheim der erfolgreichste Deutschlands.

Um die Gründe dafür herauszufinden, muss man bis ins Jahr 1963 zurückgehen. Damals gründete der Abensberger Kurt Hinz eine Judoabteilung, die von Beginn an großen Zulauf hatte und binnen 13 Jahren in die Bundesliga gelangte. 1987 übernahm dann Otto Kneitinger, der beim Aufstieg noch selbst auf der Matte gestanden hatte, als Abteilungsleiter. Mit ihm begann das goldene Zeitalter.

Dass sich die Abensberger unter Kneitingers Leitung zum besten deutschen Judoklub entwickeln würden, hatten ihm vor dem Amtsantritt die wenigsten zugetraut - nicht mal seine Eltern, wie Kneitinger verrät: "Der TSV Großhadern war damals das Nonplusultra im deutschen Judo. Als ich meinen Eltern gesagt habe, dass wir künftig gegen München gewinnen werden, haben sie zu mir gesagt: Ihr werdet gegen die weiter abstinken." Doch Kneitinger sollte recht behalten.

Die Verpflichtung von Radu Ivan als Kämpfer und Trainer erwies sich als Glücksgriff

Vier Jahre später, 1991, feierte der TSV die erste seiner 23 deutschen Meisterschaften. 1994 holte er den ersten seiner inzwischen sieben Europapokal-Titel. Bei diesem Triumph stand auch Radu Ivan auf der Matte, der heutige Trainer. Der Rumäne kam als Flüchtling nach Deutschland und lebte zunächst in Frankfurt. 1994 holte ihn Kneitinger als Kämpfer nach Abensberg. Er gab Ivan zudem einen Trainervertrag, damit dieser eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Die Verpflichtung erwies sich als Glücksgriff. Mit der ersten Mannschaft feierte Ivan einen Titel nach dem anderen; zudem sorgte er als Jugendtrainer dafür, dass es immer wieder neue Talente in die Männermannschaft schafften.

Dass die Jugendarbeit des TSV auch heute noch gelingt, hat der Verein vor allem dem 1999 verstorbenen Bauunternehmer Josef Stanglmeier zu verdanken. Der Abensberger hatte schon im Jahr 1978 eine Stiftung ins Leben gerufen, von dieser profitiert die Judoabteilung bis heute. "Die Stiftung macht Spitzensport in Abensberg überhaupt erst möglich", sagt Georg Schels, der beim TSV in verschiedenen Rollen aktiv ist. Denn der TSV Abensberg wird als Landesleistungsstützpunkt vom Deutschen Judo-Bund weniger gefördert als die Bundesstützpunkte wie etwa München.

Obwohl der TSV seit 1991 23 Mal deutscher Meister wurde, musste der Verein in der Zeit auch den ein oder anderen Rückschlag einstecken. Beispielsweise 2015, als er sich der Verein aus der Bundesliga zurückzog und in der Regionalliga startete, um seinen Kämpfern eine optimale Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2016 zu ermöglichen. Ein Schritt, der am Ende nicht von Erfolg gekrönt war. Keiner der Abensberger kam auch nur in die Nähe einer Olympiamedaille.

"Uns ist es gelungen, Abensberg in eine Judo-Stadt zu verwandeln", sagt Vlaskovac stolz

Darüber hinaus tat sich der Verein auf der Suche nach einem Nachfolger für Otto Kneitinger schwer, der 2016 als Abteilungsleiter aufhörte. Innerhalb von zwei Jahren wechselte gleich dreimal die Besetzung - bis Ende 2018 schließlich Martin Oberndorfer den Posten übernahm. Unter Oberndorfers Leitung kehrte der gewohnte Erfolg zurück nach Abensberg. Seit seinem Amtsantritt feierte der TSV drei nationale Titel. "Er ist ein Macher, der vieles vorantreibt", lobt Ole Bischof.

Dass viele Athleten, die zum TSV kommen, dem Klub bis zum Karriereende treu bleiben, hat laut Trainer Ivan einen einfachen Grund. "Bei uns können die Kämpfer lange kämpfen und nicht nur ein, zwei Jahre. Dadurch identifizieren sie sich mit der Gegend." Kaum ein anderer steht so für diese Identifikation wie Ole Bischof. Der gebürtige Reutlinger kam 2001 nach Abensberg und reifte dort zu einem der besten Judoka der Welt. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 gewann er Gold, vier Jahre später in London Silber. Trotz der Erfolge blieb der Wahlbayer bis zu seinem Karriereende 2012 beim TSV. Und wohnt auch heute noch in Abensberg. Seine älteste Tochter betreibt hier selbst Judo.

Dass sich in Abensberg viele Kinder für diesen Kampfsport begeistern, hat auch damit zu tun, dass Judo in der Schule angeboten wird. Einer der Schultrainer ist Davor Vlaskovac. Der Bosnier war Teil der Meistermannschaft 1991. Rückblickend sagt Vlaskovac stolz: "Uns ist es gelungen, Abensberg in eine Judo-Stadt zu verwandeln." Dass sie das immer noch ist, war am Samstag zu sehen.

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