Sportbuch:Ritt durch zwei Welten

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Jockey Lutz Mäder mit Nebos im Jahr 1980. (Foto: Werek/Imago)

Lutz Mäder hat 48 Jahre im Sattel gesessen, dreimal das Jockey-Championat, einmal das Deutsche Derby und 1624 weitere Rennen gewonnen. Seine Erinnerungen erzählen von einer ungewöhnlichen Reiterkarriere im Osten und Westen Deutschlands.

Von Gabriele Pochhammer

Angefangen hat es bei Lutz Mäder wie bei vielen anderen: Der Junge aus einem abgelegenen Dorf im Erzgebirge, der nicht so recht wachsen wollte, dessen Vater als Landarbeiter seine Familie ernährte, war den Pferden verfallen, als er gerade mal laufen konnte. Etwas später hob irgendjemand den Knirps in den Sattel. Er bekam Unterricht in der Sektion Reiten, ganz normal nach Deutscher Reitlehre. Schon als 13-Jähriger, knapp 25 Kilo leicht, wusste er, was er wollte, bewarb sich als Bereiter im Gestüt Moritzburg, von dort schickte man den Jungen mit der idealen Jockeyfigur nach Görlsdorf, dann weiter zu Trainer Ewald Schneck in Hoppegarten. Das erste Ziel war erreicht.

Mäder gewann schon im ersten Lehrjahr zehn Rennen. Doch je älter er wurde, umso mehr ging ihm das sozialistische Regime mit seiner Planwirtschaft auf die Nerven. "Mit Rennsport und Vollblutzucht, einer puren Leistungszucht, war das alles nicht vereinbar. Was, oberflächlich betrachtet, wie Rennsport aussah, wurde immer mehr zu einem staatlich gelenkten Zirkus- oder Theaterbetrieb", schreibt er. Ihm war bald klar, wenn es was werden sollte mit der Jockey-Karriere, musste er "rübermachen".

Als Republikflüchtling wurde Mäder zu zwei Jahren Haft verurteilt

Das Risiko war groß. Im Frühjahr 1973 ging es los über Tschechien, Ungarn und Rumänien, nach Jugoslawien, so war der Plan. Er ging nicht auf. Es gelang Mäder zwar, in vier Stunden an geeigneter Stelle die Donau zu durchschwimmen, eine enorme Leistung, die er nur seiner vorzüglichen Kondition, erworben bei zahllosen Kniebeugen und Liegestützen, verdankte. Aber der nette Serbe, den er als Erster traf, benachrichtigte umgehend die deutsche Botschaft, die ostdeutsche. Am Ende wurde der Republikflüchtling zu zwei Jahren Haft verurteilt, nach einem Jahr löste ihn die Bundesrepublik aus.

Es war nicht so, dass ihm als "Ostfellache" im Westen der rote Teppich ausgerollt wurde, aber Mäder biss sich durch. "Wie kostbar Freiheit ist, das erfährt man, wenn man unfrei ist", das blieb sein Credo, das ihm über viele Anfangsschwierigkeiten hinweghalf. Er fasste schnell Fuß, ritt erfolgreich für verschiedene Rennställe, zählte bald zur ersten Garnitur der deutschen Jockeys. Und natürlich hatte auch er das Pferd seines Lebens, den Hengst Nebos. Für ihn wechselte er sogar den Stall, ging zum berühmten Trainer Hein Bollow und gewann mit dem Schwarzbraunen in den folgenden Jahren fast alle Rennen, bis auf das Derby und den L'Arc de Triomphe. 18 Starts, zwölf Siege, fünf Plätze. Den Derbysieg schenkte ihm Nebos 1987.

Zusammen mit seiner Frau Erika Mäder, die ihm, nach ebenfalls grauenvoller Zeit in DDR-Gefängnissen, in den Westen folgte, betreibt er heute einen Trainingsstall in Krefeld, abgesattelt hat er im Jahre 1997. Seine Geschichte ist nicht nur der Stoff, aus dem Reitermärchen sind. Sie erzählt auch allen, welch ein Geschenk das Leben in einem freiheitlich-demokratischen Staat ist. Dafür haben Lutz und Erika Mäder viel riskiert. Sie wissen, wovon sie reden.

Lutz Mäder, unter Mitarbeit von Peter Brauer: Mein Ritt durchs Leben. DSV Deutscher Sportverlag. 2023. 19,80 Euro.

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