Ironman-Sieger Sebastian Kienle:Süchtig nach Strapaze

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Beinahe wäre Triathlet Sebastian Kienle auf Hawaii gar nicht angetreten - dann gewinnt er den Ironman. Sein Vorsprung nach acht Stunden ist gewaltig, seinen Triumph begreift der 30-Jährige aber erst auf der Ziellinie.

Von Lisa Sonnabend

Auf den letzten Metern wird Sebastian Kienle langsamer. Er rennt nicht mehr, sondern schiebt nur noch einen Fuß vor den anderen. Es sieht aus, als spaziert jemand in Zeitlupe über Hawaii. Der 30-Jährige reckt die Arme in die Luft, er blickt in den Himmel, der Mund weit aufgerissen. Dann berührt Kienle mit dem Bauch das Zielband. Nach 3,86 Kilometern Schwimmen, 180,2 Kilometern Radfahren und 42,195 Kilometern Laufen ist er im Ziel. Er lässt sich auf den Boden fallen, der Körper pumpt, ein Helfer muss ihn hochziehen. Er hat keine Kraft mehr.

Sebastian Kienle gewinnt am Samstag den Ironman auf Hawaii. Acht Stunden 14 Minuten und 18 Sekunden war er unterwegs. Am Ende hatte er über fünf Minuten Vorsprung auf den Amerikaner Ben Hoffman. Olympiasieger Jan Frodeno aus Saarbrücken wurde Dritter.

"Ich kann das nicht glauben", sagte Kienle nach dem Rennen. "So tief und schön, wie ich jetzt träume, braucht es schon ein Erdbeben, damit ich wieder aufwache." Ein Blumenkranz baumelte um seinen Hals, auf seinem Kopf hatte ihm jemand einen Kopfschmuck aus Blättern gesetzt, es sah aus wie ein Lorbeerkranz. Kienle strahlte, doch der Körper gehorchte nach den Strapazen nicht mehr völlig, er schwankte leicht hin und her.

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Triumph für die deutschen Triathleten: Als erst vierter Deutscher gewinnt Sebastian Kienle den Ironman auf Hawaii. Besonders imposant ist seine Leistung auf dem Fahrrad. Auch Jan Frodeno hat Grund zur Freude.

Kienle ist der vierte Deutsche, der die zehrendste Sportveranstaltung der Welt für sich entscheiden konnte - nach Thomas Hellriegel (1997), Faris Al-Sultan (2005) und Normann Stadler (2004 und 2006).

Mit zwölf Jahren begann Kienle mit dem Triathlon. Bei einem Besuch bei seiner Oma in Ulm sah er, wie Sportler an ihm vorbeiradeln, später vorbeirennen. Wenige Tage danach schraubte er seinen Fahrradlenker um, sein erstes Rennrad.

Kienle trainierte, er schwamm, radelte, lief. Stundenlang. Jeden Tag. Die Langstrecke faszinierte ihn. Nie fühle er sich so frei wie beim Triathlon, sagte er einmal. Stundenlang nur Natur, stundenlang alleine mit seinem eigenen Kopf. Kienle wurde süchtig nach diesem Gefühl.

Er konzentrierte sich voll auf die Langstrecke, seine Leistungen wurden immer besser. Bei seinem ersten Wettkampf auf der Langdistanz, 2010 in Roth, wurde er Zweiter. 2012 gewann er den WM-Titel der 70.3-Rennserie über die halbe Ironman-Distanz, 2013 verteidigte er diesen. 2012 war Kienle auf Hawaii Vierter geworden, im vergangenen Jahr Dritter. Der Erfolg in diesem Jahr kam also nicht überraschend.

Bereits fünf Wochen vor dem Iron Man reiste Kienle nach Hawaii. Es sollte nichts schief gehen diesmal, doch es lief vieles nicht nach Plan. Kienle stürzte in ein Leistungsloch, die Trainungszeiten waren schwach. Kienle zweifelte - und überlegte, "nach Hause zu fliegen und die Karriere zu beenden". Doch dann entschloss er sich, es durchzuziehen. "Man muss immer weiter machen", sagte er . "Erst am Schluss wird abgerechnet."

Beim Wettkampf am Samstag stieg der 1,80 Meter große Sportler mit verhältnismäßig wenig Rückstand aus dem Wasser, Schwimmen ist seine schwächste Disziplin. Radfahren dagegen seine stärkste. Nach nur 80 Kilometern übernahm Kienle die Führung. Beim Laufen holte ihn niemand mehr ein. "Ich wusste, dass ich es drauf habe", sagte Kienle nach dem Rennen. Kienle ist ein offener, sympathischer Typ. Die Haare etwas zu lang, als dass man sie noch als Frisur bezeichnen könnte. Die Wörter sprudeln auch nach acht Stunden Strapazen aus ihm heraus, der badische Dialekt ist genauso unüberhörbar wie bei Bundestrainer Joachim Löw.

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Dass er den Ironman 2014 auf Hawaii gewinnen würde, realisierte Kienle erst, als er kurz vor dem Ziel abbremste und die letzten Meter ins Ziel schlenderte. Denn Kienle weiß: "Es kann immer noch etwas passieren." Ein Krampf, ein falscher Tritt, ein Sturz. Doch 20 Meter vor dem Ziel wusste Kienle dann: "Wenn nicht einer noch mit der Rakete angeschossen kommt, hast du das Ding." Die Rakete kam nicht mehr.

Nun ist er Ironman auf Hawaii. Das bleibt man ein Leben lang. Wie Fußball-Weltmeister.

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