IOC:Zweierlei Maß

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Chef-Olympier Thomas Bach verteidigt den Umgang mit Russland im Dopingskandal. Der Vergleich zum gesperrten Kuweit zeigt jedoch, dass das IOC zweierlei Maß anlegt.

Von Thomas Kistner

Thomas Bach musste noch Dampf ablassen. Zum Jahresende beklagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees bitterlich eine Welt, die - ein ja schon festes Brauchtum - wieder mal gründlich missverstanden hat, wie klug und ausgewogen das Verdikt seines IOC zur russischen Staatsdoping-Affäre ist. Der Welt am Sonntag versuchte Bach weiszumachen, dass es bei den Winterspielen in Pyeongchang "keine russische Mannschaft gibt". In Wahrheit tritt Russlands Team bestens erkennbar unter dem Signum Olympic Athlet from Russia an, OAR. Daran kommt auch Bach nicht vorbei, er sieht dies aber nicht den Wünschen des Kreml, sondern rein praktischen Gründen geschuldet. Denn: Man muss ja nicht die armen Fans verwirren - wie bei der Leichtathletik-WM in London. Dort, so Bach, seien die Russen als autorisierte neutrale Athleten (ANA) gestartet, dabei habe doch jeder, Medien und Fans, gewusst, wer gemeint ist. Also kann das Wort Russland gleich wieder genannt werden. "Die Realität", doziert Bach, "sollte man nicht ignorieren".

Sein Realitätssinn sage ihm auch, dass die "haltlose Theorie", das IOC sei vor Putin eingeknickt, "vornehmlich in Deutschland" grassiere. Dumm nur, dass jetzt Jim Walden, US-Anwalt des russischen Kronzeugen Grigori Rodtschenkow, eine ganz andere Realität benennt: die Unverhältnismäßigkeit von IOC-Urteilen am Beispiel des Falles Kuwait. Dessen NOK war vor den Rio-Spielen 2016 wegen Einflussnahme der Regierung gesperrt worden, die Sportler starteten als Unabhängige Olympische Athleten, das NOK ist noch immer suspendiert. Hmm. Auf der einen Seite also die "schwerste Attacke auf die Integrität der Spiele, die wir je erlebten" (Bach), ausgeübt bei den Sotschi-Spielen. Auf der anderen Seite Regierungsdruck auf eine Sportführung, die auch im Fokus der US-Justiz ist. Was mag da übler sein?

Nicht nur Walden sieht einen politischen Deal, wenn ein langjähriger Bann verhängt wird "bei einem minderschweren Vergehen im Vergleich zu kriminellen Machenschaften". Der Anwalt diagnostiziert "Katzbuckeln vor Russland" und fordert Bachs Ablösung an der IOC-Spitze.

Das fordert noch ein weiterer amerikanischer Realist. Jack Robertson, vormals Russland-Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, teilt in der New York Times mit, dass das Kernproblem im Sport die Dopingbekämpfer selbst seien. Er sei bei seiner Arbeit von Wada- und IOC-Spitzen derart ausgebremst worden, dass er russische Whistleblower schließlich an Journalisten vermittelt habe: "Ich war der führende Dopingermittler und musste meine Organisation umgehen!"

Das Russland-Urteil sei eine Farce und der Weg für Doper frei. Denn in Russland, so der frühere US-Drogenagent, gebe es keine Hinweise auf Besserung: "Tatsächlich deuten die Beweise darauf hin, dass es weitergeht. Das IOC weiß das alles." Bachs laxe Haltung ermutige die Russen, harte Strafe sei nicht zu befürchten. Weshalb das IOC eine neue Führung brauche: Eine, die ihre Charta auch zu leben wisse.

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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