Interview:"Der Halo hat jetzt schon seinen Wert bewiesen"

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Seit mehr als 20 Jahren für Sicherheit und Fairness in der Formel 1 verantwortlich: Charlie Whiting. (Foto: Dan Mullan/Getty Images)

Charlie Whiting, Formel-1-Sicherheitsbeauftragter, über erste Erkenntnisse zum Unfall von Charles Leclerc.

Interview von Philipp Schneider

SZ: Herr Whiting, am vergangenen Sonntag gab es im Rennen von Spa-Francorchamps einen Unfall, der seither als Beispiel dafür herangezogen wird, dass der Halo-Schutzbügel erstmals das Leben eines Fahrers gerettet haben könnte. Haben Sie inzwischen weitere Erkenntnisse, ob Fernando Alonsos McLaren, wäre er nicht abgeprallt am Halo des Sauber, den Kopf von Charles Leclerc getroffen hätte?

Charlie Whiting: Ich habe noch keine spezifischen Informationen, ob der Unfall lebensbedrohlich war. Und ob der Halo dahingehend ein Faktor war, dass er Leclercs Leben gerettet hat. Wir wissen, dass der Halo definitiv vom McLaren getroffen wurde. Wir haben solche Unfälle schon vorher erlebt, und wir werden sie immer wieder erleben. Aber wir haben leider nicht genug Informationen, um den Unfall dahingehend zu replizieren, dass wir sagen könnten: Ja, der Wagen hätte Charles Leclercs Kopf getroffen. Aber es geht auch um etwas anders.

Um was denn?

Wir wissen aus Erfahrung, dass es viele Arten von Unfällen gibt, die in der Formel 1 passieren können. Bei dem Unfall in Spa wurde unsere in diesem Jahr eingeführte neue Sicherheitsstruktur getroffen, der Halo. Wir wissen inzwischen, mit welcher Kraft das Vorderrad des McLarens den Halo getroffen hat. Es war etwa die Hälfte der Belastung, von der wir wissen, dass der Halo ihr standhalten kann. Jene Belastung, auf die wir den Halo bei jedem Auto vor der Zulassung testen, sobald er ans Chassis montiert ist. Zufälligerweise wurde Leclercs Halo auch noch ziemlich genau an der Stelle getroffen, an der wir unsere Tests einwirken ließen. Weil wir wissen, an welchen Stellen der Halo mit hoher Wahrscheinlichkeit getroffen werden kann: Vorne an der Front. Und schräg vorne an der Seite. Auf 125 Kilo-Newton Widerstandskraft (12,75 Tonnen, d. Red.) testen wir, der Sauber in Spa wurde mit der Wucht von etwa 56 Kilo-Newton (5,7 Tonnen) getroffen. Aber das ist eine schwierige Kalkulation, die ausschließlich auf der Auswertung des Videomaterials basiert. Zusätzlich kennen wir das Gewicht des Reifens und das Gewicht des Autos, und so errechnen wir die Kraft, die eingewirkt hat auf den Halo am Sauber.

Welcher Teil des McLarens hat den Halo exakt getroffen?

Eines der Vorderräder. Das lässt sich auf einigen Onboard-Kameras gut erkennen.

Die Onboard-Kamera von Leclerc war aber verschwommen.

Am besten sieht man den Unfall auf der Onboard-Kamera von Brendon Hartley.

Dass der McLaren Leclercs Kopf getroffen hätte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, weil der Halo einen wesentlich größeren Radius besitzt als der Bereich, in dem der Fahrerkopf ist?

Exakt. Deshalb müssen wir den Unfall noch weiter analysieren, die konkrete Dynamik ergründen, die stattgefunden hat. Aber entscheidend ist: Die Sicherheitsstruktur ist da und sie hat einen Anteil gehabt am konkreten Ablauf des Unfalls. Es gibt in der Formel 1 unheimlich viele unterschiedliche Arten von Unfällen, die stattfinden können. Wir haben sie alle erlebt im Laufe der Jahre. Nehmen Sie den Unfall von Marcus Ericsson im Freitagstraining in Monza...

Sein Sauber bog am Ende von Start und Ziel beim Anbremsen vor der Schikane einfach links ab, überschlug sich dreimal und vollführte auch noch eine Schraube. Offenbar, weil sich der Heckflügel noch in DRS-Position befand und nicht geschlossen war.

Sein Halo hat beim Überschlag ebenfalls einen Schaden davongetragen. Sogar einen großen Schaden. Wenn Sie mich fragen: Der Halo hat jetzt schon seinen Wert bewiesen. Schon im Mai, beim Formel 2 Rennen in Barcelona...

Bei einem Crash zwischen Nirei Fukuzumi und Tadasuke Makino. Auch Fukuzumis Auto stieg damals auf und schrammte mit den Reifen über Makinos Halo...

In wenigen Monaten haben wir jetzt schon drei Unfälle erlebt, in denen der Halo eine Rolle gespielt hat.

Inwiefern hat er beim Überschlag von Ericsson geholfen?

Wenn sich ein Auto überschlägt und verkehrt herum liegen bleibt, dann kommt es zum Ruhen auf dem Frontflügel und der Lufthutze hinter und oberhalb des Fahrer. Diese Ruhepunkte werden verbunden von einer Diagonalen. Und seit der Einführung des Halo befindet sich etwas zwischen diesen Fixpunkten, das höher liegt als der Fahrer. Also wird der Fahrer im Fall eines Überschlags dank Halo auch besser geschützt werden.

Jules Bianchi kam im Oktober 2014 in Suzuka von der verregneten Strecke ab, sein Marussia rutschte mit großer Geschwindigkeit unter einen Abschleppwagen, neun Monate später verstarb er an seinen schweren Kopfverletzungen. Hätte der Halo Bianchi das Leben retten können?

Der Einschlag in diesem Fall, fürchte ich, war deutlich zu stark für jedwedes Sicherheitsfeature. Die Kräfte, die bei Bianchis Unfall gewirkt haben, dürften signifikant stärker gewesen sein als die 125 Kilo-Newton, für die der Halo ausgelegt ist.

© SZ vom 02.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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