Inter Mailand:Die Tage des Blitzableiters

Lesezeit: 4 min

Im Viertelfinale der Europa League trifft Leverkusen auf Italiens Meisterschaftszweiten Inter Mailand. Dort hat Trainer Antonio Conte, ein ebenso streitbarer wie erfolgreicher Trainer, die Fäden in der Hand. Und stellt die Beobachter regelmäßig vor Rätsel.

Von Thomas Hürner

Antonio Conte ist nicht nur ein dynamischer Trainer, er ist Dynamit, jederzeit bereit für einen gewaltige Knall. Man hört ihn bis in die hintersten Winkel der Fußballnation, die Tifosi und Branchenkenner gucken dann eingeschüchtert und fragen sich: Was war das jetzt wieder?

Es hätte ein gemütlicher Abschluss der Ligasaison werden können. Inter Mailand, das Team von Conte, hatte am vergangenen Samstag gerade überzeugend mit 2:0 beim direkten Konkurrenten Atalanta Bergamo gewonnen und sich so den zweiten Platz gesichert, am Ende war es nur ein Punkt Rückstand auf den italienischen Serienmeister Juventus. Conte hat dem lethargischen Traditionsklub wieder Leben eingehaucht. Beste Voraussetzungen für einen Angriff auf den Titel in der Europa League, nach einem Pflichtsieg unter der Woche gegen Getafe (2:0) trifft Inter am Montag auf Bayer Leverkusen.

Aber Conte wäre nicht Conte, wenn er so eine Bühne nicht nutzen würde, diesen Moment der größtmöglichen Aufmerksamkeit. "Es war ein hartes Jahr für mich, sehr hart", begann Conte also auf der Pressekonferenz in Bergamo, dann folgte ein langer Monolog. "Null Schutz" habe er vom Klub erhalten, der "Blitzableiter" sei er gewesen, weder seine Arbeit noch die der Spieler sei "wertgeschätzt" worden. Und so weiter. Ein Rundumschlag, verpackt in kryptischen Schachtelsätzen. Was war das jetzt wieder?

Provoziert der Trainer seinen Rausschmiss, um zu Juventus zurückkehren zu können?

"Inter brilliert, Conte spaltet", titelte daraufhin die Gazzetta dello Sport, am Folgetag legte das rosa Blatt nach: "Conte, ora basta!" Jetzt reicht es. Auch für die anderen Sportzeitungen des Landes war dieser sonderbare Auftritt das Thema der Woche. Die Verwunderung ist deshalb so groß, weil sich niemand so recht erklären kann, was Conte eigentlich bezwecken wollte. Seither wird spekuliert und diskutiert: Spielte er selbst ganz bewusst den "Blitzableiter", um vor der Europa-League-Endrunde ein bisschen Druck vom Kessel zu nehmen, war alles also nur ein großes Schauspiel? Will Conte gar seinen Rauswurf provozieren, damit er wieder bei Erzrivale Juventus anheuern kann, wo er einst Kapitän und dreifacher Meistertrainer war? Am Samstagnachmittag, wenige Stunden nach Juves Aus in der Champions League, wurde deren Trainer Maurizio Sarri gefeuert, das war schon seit Wochen abzusehen. Oder folgen Contes Worte einem Kalkül, einer inhärenten Logik? Vielleicht, aber sicher weiß man es nicht. Der Trainer schweigt sich zu diesem Thema aus. Beim chinesischen Einzelhandelsriesen Suning, in dessen Besitz der Klub seit 2016 ist, soll Contes Auftritt nahe an der öffentlichen Denunziation empfunden worden sein.

Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass Conte zu diesem Stilmittel greift. Als Trainer des FC Chelsea kritisierte er die Sportdirektorin Marina Granovskaia so lange, bis er schließlich entlassen wurde. Trotz Meistertitel in der ersten und einem FA-Cup-Sieg in der zweiten Saison. Bei Juventus hatte er zuvor selber hingeworfen, in einer heute noch legendären Pressekonferenz, urplötzlich anberaumt mitten in der Saisonvorbereitung. "Mit 10 Euro", hatte Conte damals gesagt, "kann man nicht in einem Restaurant essen, in dem die Rechnung 100 Euro kostet." Sollte heißen: In Italien kann ich mit diesem Budget und diesen Spielern gewinnen, aber für Europa reicht das nicht. Massimiliano Allegri, sein Nachfolger bei Juventus, speiste dann trotzdem vorzüglich im Nobeletablissement namens Champions League und schaffte es zweimal ins Finale. Was Conte gar nicht schmecken dürfte: Ausgerechnet Allegri soll ihn laut italienischer Gazzetten auch bei Inter beerben, wenn es es wirklich zum Bruch kommen sollte.

Conte hatte bislang überall Erfolg, er hinterlässt aber auch eine Menge Chaos, wenn ihm der Rest des Klubs nicht kompromisslose Gefolgschaft leistet. Auf dem Platz will er seinen Spielern jeden Pass, jeden Laufweg diktieren. Und zudem bestimmen, welche Spieler seinen Anweisungen Folge leisten dürfen. Am besten alleine. Das Problem ist: Bislang war noch kein Klub bereit, Conte auch formell mit allumfassender Macht auszustatten, in Trainer-Manager-Personalunion nach englischem Modell.

Ausgerechnet Eriksen sichert den Viertelfinaleinzug

Bei Inter schien man bislang ein gefälliges Arrangement getroffen zu haben. Conte wünscht sich was, Sportdirektor Marotta besorgt es ihm. Sie kennen sich aus gemeinsamen Jahren bei Juventus. Und die milliardenschwere Besitzerfirma Suning bürgt mit dem nötigen Kleingeld. Für rund 75 Millionen Euro wurde vor der Saison Contes Wunschspieler verpflichtet, der belgische Stürmer Romelu Lukaku. Der bislang teuerste Transfer der Klubgeschichte wurde mit immerhin 23 Treffern zum drittbesten Torschütze der Serie A. Kapitän Mauro Icardi hingegen, von Conte gleich bei der Ankunft als Unruhestifter gebrandmarkt, wurde eilig nach Paris abgeschoben. In Nicoló Barella kam eines der hoffnungsvollsten Mittelfeldtalente Italiens. Und als Conte im Winter monierte, er habe zu wenig Personal auf den Außenbahnen, wurde in Ashley Young und Victor Moses doppelte Verstärkung akquiriert. Für die kommende Spielzeit steht auf dieser Position bereits Achraf Hakimi als Zugang fest, zuletzt bei Borussia Dortmund, Kostenpunkt angeblich 40 Millionen Euro. Alles perfekt abgestimmt auf Contes 3-5-2 System.

Marotta moderiert so das Temperament seines Trainers, dem mit Abstand bestbezahlten Italiens. Im Winter hat es aber auch einen Ausreißer gegeben. Conte wollte den raubeinigen Arturo Vidal aus Barcelona, bekam aber den jüngeren und filigranen Christian Eriksen von Tottenham. Präsentiert wurde der Däne wie ein Königstransfer in der Mailänder Scala, jetzt fristet er ein Dasein als Einwechselspieler, wenn überhaupt. Gegen Getafe sicherte er kurioserweise den wackligen Erfolg. Trotzdem: Eriksen sei "zu schüchtern", erklärt Conte immer wieder. Einige italienische Experten glauben, dass sich Conte hintergangen fühlt.

Das ganze Theater wegen eines Kickers, der nicht ganz seinem Gusto entspricht? Klingt wahnsinnig, ist bei Conte aber nicht ganz auszuschließen. Vielleicht wird er sich dazu noch erklären, als strahlender Europa League-Sieger unter dem Kölner Nachthimmel, wo am 21. August das Finale stattfindet. Es wäre sein erster internationaler Titel, wenn auch nur der kleine. Bei einem Ausscheiden gegen Leverkusen könnte Conte aber erst so richtig hochgehen. Und dann verschwinden, wie schon in Turin und London.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: