HSV verliert 0:2 -:"Das hatte nichts mit Fußball zu tun"

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Perfekter Konter: Hamburgs Torhüter René Adler ist gegen den Schuss von Wolfsburgs Joshua Guilavogui (r.) machtlos - das 1:0 für den VfL. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der Hamburger SV gibt bei der Heimniederlage gegen den VfL Wolfsburg ein Bild des Schreckens ab - und muss den Spott der eigenen Fans ertragen.

Von Stefan Rommel, Hamburg

Es war noch eine knappe Viertelstunde zu spielen im Hamburger Volkspark, da machten sich die ersten Zuschauer bereits auf den Heimweg. Diejenigen, die bis zum Schluss geblieben waren, hatten nach dem Abpfiff noch tüchtig Lust zu pfeifen und die Mannschaft zu beschimpfen. Die Spieler wurden in der Nordkurve zur Rede gestellt, einige mit Gegenständen beworfen.

Wenige Spieltage vor Ende der Saison zeichnet der Hamburger SV ein erschreckendes Bild. In einer an Tiefschlägen nicht eben armen Spielzeit war die Partie gegen den VfL Wolfsburg der nächste Tiefpunkt. Der HSV verlor sein Bundesligaspiel mit 0:2 (0:1), es war die vierte Niederlage in Serie für den Hamburger SV und die 15. in dieser Saison. Er verlor zudem Ersatzkapitän Johan Djourou nach einer gelb-roten Karte (89.). Und er verlor ein großes Stück seiner Zuversicht.

Mit Appellen an die Fans und die Mannschaft wollten die Verantwortlichen für einen Stimmungsumschwung sorgen. Und tatsächlich hatten die Fans neben dem gewohnten Enthusiasmus auch eine gute Portion Optimismus mit ins Stadion geschleust und lieferten im Gegensatz zu ihrer Mannschaft eine durchaus gelungene Vorstellung. Trainer Peter Knäbel hatte fast die komplette Offensivabteilung getauscht, Rafael van der Vaart, Lewis Holtby und Pierre-Michel Lasogga ins Rennen geschickt und überhaupt auf den Faktor Erfahrung gesetzt: Mit Rene Adler im Tor, Heiko Westermann in der Viererkette und Ivica Olic im Sturm. Die zahlreichen Maßnahmen liefen aber alle ins Leere. Bis auf vernünftige erste fünf Minuten hatte der HSV kaum noch etwas zu bieten.

Vor der Partie war es eine der entscheidenden Fragen, ob die neu formierte Mannschaft die Balance schafft zwischen mehr Offensivgeist und der nötigen Absicherung gegen eine der besten Umschaltmannschaften der Liga. Ein halbes Dutzend Torchancen für den Gegner und keine für den HSV nach 45 Minuten lieferten eine eindeutige Antwort. Dass es bis zur Pause durch ein Tor von Josuha Guilavogui (10.) lediglich 0:1 stand, war der schlampigen Chancenverwertung der Gäste zuzuschreiben, die Bas Dost und Naldo jeweils in Führung hätten köpfeln können. Wolfsburg versuchte es immer wieder über die linke Angriffsseite, wo Diekmeier-Vertreter Westermann und Holtby dem Tempo der Gäste nicht gewachsen waren.

"Wir haben es versäumt, bereits in der ersten Halbzeit für klare Verhältnisse zu sorgen. Deshalb mussten wir immer auf der Hut sein. Wir hatten es uns selbst zuzuschreiben, dass wir solange die endgültige Entscheidung verpasste haben", sagte Wolfsburgs Kevin de Bruyne.

"Wir sind nur noch in einem Tunnel"

Nach dem Wechsel kontrollierte Wolfsburg weiter das Spiel, vergaß bis zur 73. Minute aber die nötige Zielstrebigkeit. Das Spiel der Gäste war schön anzusehen, weswegen es manchmal den Anschein erweckte, als würden beide Mannschaften unterschiedliche Sportarten betreiben. Entschlossenheit strahlten die überlegenen Wolfsburger kaum noch aus - gegen einen Gegner wie den HSV genügt aber offenbar auch der dritte Gang.

Und wenn sich die Gelegenheit zu einer Tempoverschärfung bot, wurden aus endlosen Stafetten auch wieder zielführende Angriffe. Wie in der 73. Minute, als der Kombinationsfluss nach vier direkt gespielten Pässen in Marco Caligiuri einen dankbaren Abnehmer fand, der den Ball aus sieben Metern nur noch ins leere Tor einschieben musste.

"Was wir in der zweiten Hälfte abgeliefert haben, hatte nichts mit Fußball zu tun. Da war nichts mehr zu sehen, keiner wollte Verantwortung übernehmen", sagte Westermann: "So eine Leistung ist absolut unerklärlich. Wir sind da nur noch in einem Tunnel und bekommen gar nicht mehr mit, was alles schiefläuft. Wir haben Angst. Völlig leblos, keiner hilft den Anderen, keiner will den Ball haben. Keiner hält den Arsch richtig hin, keiner traut sich etwas. Das ist nicht erstligareif." Das waren ehrliche Worte. Der Verteidiger war neben Holtby der einzige Hamburger, der sich überhaupt den Medien stellte. Der Rest verschwand wortlos in die Kabine.

Knäbel greift die eigenen Spieler an

Die Hamburger Fans wanderten ab, begleitet von geschwenkten Taschentüchern aus dem Gästeblock. Gemeint war die Geste wohl nicht nur als spöttisches Zeichen der Verabschiedung an diesem Abend. Sondern als eine der Verabschiedung aus der ersten Liga. "Wir stehen weiter zusammen. Es bringt ja jetzt nichts, wenn wir sagen, wir hätten keine Chance mehr und sind bereits abgestiegen. Ich glaube noch an den Klassenerhalt, ich bin fest davon überzeugt", befand Holtby. Zeitgleich sorgte sein Trainer mit einigen merkwürdigen Aussagen für Verwunderung, als er etwa Cleber als auserkorenes Pressing-Opfer der Gäste bezeichnete und dessen schlimmen Fehler vor dem 0:1 unverblümt anprangerte. "Ich mag das Gerede von den individuellen Fehlern nicht, aber das war eine dämliche Aktion", sagte Knäbel. "Das ist in der Bundesliga oder in der Kreisklasse dasselbe. Es war keine schwierige Situation für den Spieler, trotzdem resultiert daraus ein Tor für den Gegner. Die Bundesliga ist der falsche Ort zu lernen und so einen Fehler zu begehen!"

Dem Trainer war fehlendes Engagement während der Partie nicht vorzuwerfen. Knäbel zürnte und gestikulierte die gesamten 90 Minuten an der Seitenlinie, alles vergeblich. Er wirkt nun bereits nach zwei Spielen ratlos und abgearbeitet - und rückt in die Kritik. Es ist keine Entwicklung der Mannschaft mehr zu erkennen, auch kein System. Und zu allem Überfluss fehlt nun auch noch jene Leidenschaft, dank der wenigstens ein paar Spiele in dieser Saison gewonnen wurden. "Nächste Woche sollten wir nicht gewinnen. Da müssen wir gewinnen!", sagte Westermann noch. Am Sonntag steht das Derby bei Werder Bremen an. In Hamburg hat derzeit aber offenbar niemand eine Idee, wie man diese Partie gewinnen könnte.

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