Hockey:Sing heiser Adieu

Lesezeit: 3 min

Abwehrchefin über viele Jahre: Janne Müller-Wieland war als Rückhalt und Kapitänin eine zentrale Figur im deutschen Hockey. (Foto: Bernd König/Imago)

Janne Müller-Wieland war eineinhalb Dekaden die prägende Figur des deutschen Frauenhockeys. Nun spielt sie bei der EM in Hamburg ihr letztes großes Turnier.

Von Thomas Hürner

Wer in Deutschland professionell Hockey spielt, der war mit großer Wahrscheinlichkeit schon in der Thai Oase. Die Thai Oase ist eine kultige Karaoke-Bar im Hamburger Stadtteil St. Pauli, in der das Dekor insbesondere aus Reismatten und bunten Lichterketten besteht und die daher bestens geeignet ist, um Sportmannschaften für gesellige Abende zusammenzubringen. Unter Hockeyspielern, das wissen sportinteressierte Bewohner der Hansestadt, hat die Lokalität den Status eines inoffiziellen Sammeltreffs für Schlägerenthusiasten - und sie ist deshalb wohl der ideale Ort, um der Branche "Lebewohl" zu sagen.

Die deutsche Hockey-Nationalspielerin Janne Müller-Wieland, 36, hat also nicht zufällig die Thai Oase gewählt, als sie von Mannschaftskameradinnen den Auftrag erhielt, für den Samstagabend eine kleine Feier zu organisieren. Es ist einerseits eine Abschlussparty für die Teilnehmer der Hallenhockey-Europameisterschaft, die von diesem Mittwoch an bis zur Finalrunde am Samstag in der traditionsreichen Sporthalle Hamburg stattfindet. Andererseits ist es auch eine Art Abschiedsfeier für Müller-Wieland, wenngleich sie wohl viel zu bescheiden wäre, um das so zu sehen. Die Grande Dame des deutschen Hockeys wird nach dem Turnier ihre Profikarriere beenden, nach mehr als 300 Länderspielen und zahlreichen Titeln mit dem Uhlenhorster HC auf Klubebene.

Dass sie es nochmal in den Nationalkader schafft, war nicht unbedingt zu erwarten

Müller-Wieland sitzt in der Lobby eines Hotels im Hamburger Norden, das gleich mehreren Nationalteams in den kommenden Tagen als Quartier dienen wird. "Das werden nochmal fünf Tage high life", sagt Müller-Wieland und schaut in Richtung Rezeption, an der gerade die Österreicherinnen einchecken. In der Tat, das Pensum ist enorm bei dieser Heim-EM: Die Turniere der Frauen und Männer finden parallel statt, für jedes Nationalteam stehen täglich bis zu zwei Partien auf dem Programm. Die Akteure haben mitunter nur wenige Stunden Pause, bis sie wieder ran müssen, und auch das Spieltempo zieht im Vergleich zu draußen noch mal deutlich an. In der Halle spielen nicht zehn gegen zehn wie beim Feldhockey, sondern fünf gegen fünf, auf engstem Raum, gefordert sind da schnelle Bewegungen und schnelle Entscheidungen. "Das ist wie Blitzschach", sagt Müller-Wieland: "Du musst intuitiv das Richtige tun, sonst hast du keine Chance." Zumal die deutschen Spielerinnen und Spieler mit einem strukturellen Nachteil klarkommen müssen. Andere Nationen, zum Beispiel die Niederländer, haben eigene, auf Hallenhockey spezialisierte Teams. Die DHB-Mannschaften hingegen tauschen den freien Himmel nur anlassbezogen gegen die Indoor-Variante.

Dass es Müller-Wieland überhaupt noch einmal in den Kreis der Nationalmannschaft schafft, war vor wenigen Monaten nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Die gebürtige Hamburgerin ist zu ihrer Partnerin nach England übergesiedelt, es war eine private Entscheidung mit sportlichen Nebenwirkungen. Auf der Insel genießt Hockey keinen allzu hohen Stellenwert, das Leistungsniveau ist deutlich niedriger. Müller-Wieland schloss sich deshalb extra einem Männerteam aus der englischen zweiten Liga an, doch als die Pandemie einsetzte und das Reisen schwieriger wurde, konnte sie unter anderem keine Lehrgänge beim DHB-Team mehr absolvieren. Nach zuvor drei Olympiateilnahmen wurde sie vom damaligen Nationaltrainer für Tokio 2021 nicht in den DHB-Kader berufen. "Das war schon ein Nackenschlag", sagt Müller-Wieland: "Umso schöner ist es, jetzt noch einmal ein Turnier mit meinen Mädels spielen zu können." Sanfte Worte für eine, die von Olympia 2016 in Rio de Janeiro nicht nur mit einer Bronzemedaille, sondern auch mit einem Stollenabdruck auf dem Jochbein heimkehrte.

Die Verantwortung fürs Spiel ist heute auf mehrere Köpfe verteilt

Müller-Wieland war jahrelang Kapitänin und Abwehrchefin im DHB-Team, man könnte also meinen, dass die kurzzeitige Absenz die Hierarchie unter den Spielerinnen durcheinander gewirbelt hätte. Doch die Gruppe ist über Jahre gewachsen, Erfahrung mischt sich mit jugendlichem Esprit - und generell, so Müller-Wieland, herrsche ein Betriebsklima, in dem die Verantwortung mittlerweile auf mehrere Köpfe verteilt wird. Der Zeitpunkt für das Karriereende wurde also mit Blick aufs große Ganze sorgfältig gewählt. Und auch der Spielort ist eine glückliche Fügung, findet Müller-Wieland: "Hockey ist in Hamburg einfach ein Riesending", sagt sie, "was die Stimmung bei Spielen angeht, kann da wohl keine andere Stadt in Deutschland mithalten." Es steht zu erwarten, dass die circa 4100 Zuschauer fassende Sporthalle an den meisten Turniertagen ausverkauft sein wird.

Doch Profisport ist auch mit Entbehrungen verbunden, das weiß Müller-Wieland, die eineinhalb Dekaden lang die wohl prägende Figur des deutschen Frauenhockeys war. "Du wusstest jahrelang, wo du bist, was du an welchem Datum machst, was du anzuziehen hast", sagt sie. Nach der Heim-EM ist das erst einmal vorüber. Und egal, wie diese fürs DHB-Team verlaufen wird, steht eines bereits fest: Müller-Wieland wird sich in der Thai Oase das Mikro schnappen und einen Abschiedssong singen. Es muss allerdings ein Lied sein, das keine hohe Stimme erfordert. Die 36-Jährige ist nach Turnieren immer heiser - und sie hat in Hamburg bestimmt nicht vor, weniger zu schreien als sonst auch.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: