Historische Volleyball-Medaille:Bis zu Bronze gewachsen

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Entfesselter Jubel: Max Günthör feiert die Bronze-Medaille. (Foto: Adam Pretty/Getty)

Erste WM-Medaille seit 1970: Einer hoch talentierten aber lange extrem verunsicherten Generation deutscher Volleyballer gelingt bei den Titelkämpfen in Polen eine Überraschung. Wie es um die Sportart steht, zeigt der Umstand, dass kein Spiel im deutschen TV zu sehen war.

Von Sebastian Winter, Kattowitz/München

Diese WM war voller Licht und Schatten, und aus deutscher Sicht war von beidem genug dabei, aber am Ende stand der ersehnte Erfolg. Ein 3:0 (25:21, 26:24, 25:23)-Sieg gegen Frankreich, jenes Team, gegen das man in der Gruppenphase noch chancenlos unterlegen war, hatte am Sonntagabend Bronze eingebracht. Weltmeister wurde Gastgeber Polen, der Titelverteidiger Brasilien im Finale 3:1 (18:25, 25:22, 25:23, 25:22) bezwang.

Die Bronzemedaille war die erste WM-Medaille für ein deutsches Männerteam seit über vier Jahrzehnten. Es war ein epochaler Sieg, der Selbstvertrauen für den weiteren Aufbau Richting Rio 2016 geben dürfte. Vital Heynen, der belgische Bundestrainer, sagte: "Mein Deutsch genügt nicht, um auszudrücken, was ich fühle. Ich habe immer an uns geglaubt, und jetzt steht Deutschland auf dem Podest. Ich habe eine großartige Mannschaft."

Dabei hatte der Tag zuvor ebenfalls mit großen Gefühlen geendet, allerdings mit trübsinnigen. Max Günthör hatte am Samstagabend ausgelaugt in seinem Stuhl gelehnt, hinter dem Mittelblocker feierten 12 000 Zuschauer ihre Polen. Die waren gerade mit einem 3:1 (26:24, 28:26, 23:25, 25:21)-Erfolg über die verzweifelt kämpfenden Deutschen ins Finale eingezogen, und Günthör hatte eine einmalige Chance verpasst. Nämlich zum wohl einzigen Mal in seiner Karriere ins WM-Finale zu kommen. Später sagte der 29-Jährige: "Das Ende des zweiten Satzes war so bitter, das werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen."

Denn als die Deutschen beim 24:23 Satzball hatten, flog der Ball nach einer unfasslichen Rettungstat der Polen über die Netzkante, so schien es jedenfalls, Günthör schlug ihn direkt ins gegnerische Feld, doch der Schiedsrichter pfiff ab: Günthör hatte seiner Ansicht nach übergegriffen, ein Fehler; Deutschland verlor den Satz.

Die Szene war eine von vielen Chancen, die man gegen Mitfavorit Polen vergab. "Vielleicht hat uns ein bisschen die Cleverness gefehlt", sagte Außenangreifer Fromm nach hochklassigen 140 Minuten. Und wohl auch Georg Grozer. Der stärkste Aufschläger des Turniers musste nach einer wechselvollen Leistung im dritten Satz mit Oberschenkelproblemen vom Feld, was sein Team weiter schwächte.

So ging das in diesem Turnier. Auch tiefsten Frust münzte Heynens Mannschaft um in Spielfreude, auch am Sonntag. Und nach dem Sieg gegen Frankreich war auch Günthör mitten drin in der Jubeltraube. "Für uns ist das im Moment noch gar nicht zu begreifen. Es fühlt sich einfach nur fantastisch an", sagte Außenangreifer Denis Kaliberda, der wie Grozer, Mittelblocker Marcus Böhme und Zuspieler Lukas Kampa zu den stärksten Spielern dieser WM zählte.

Die als Weltranglisten-Zehnte in das drei Wochen dauernde Mammutturnier gestarteten Deutschen haben die Erwartungen der meisten Experten übertroffen, und Heynens Zielsetzung erfüllt. Der Belgier hatte eine Medaille gefordert - ein Ergebnis, das seit der Wiedervereinigung keinem deutschen Team gelungen ist. Das bis dato einzige Edelmetall hatte die DDR 1970 geholt, als sie Weltmeister wurde. Heynens zunächst illusorisch erscheinende Vorgabe nahm dann, nach nur drei Niederlagen in insgesamt zwölf Gruppenspielen, Form an: "Wir sind mit jedem Spiel gewachsen", sagte der Trainer.

Heynen hat vor zweieinhalb Jahren eine hoch talentierte, aber extrem verunsicherte Mannschaft übernommen. Die deutschen Volleyballer waren 2011 EM-Letzter geworden und tief gespalten. Ihr argentinischer Trainer Raul Lozano hatte auf einen so analytisch-kühlen Ansatz gebaut, dass sein Verhältnis zu den Spielern schnell gefror. Heynen ist völlig anders: ein großer, eloquenter Kommunikator und ein akribischer, moderner Trainer, der auch ehemalige Nationalspieler wie Ralph Bergmann in seinen Stab integrierte. Sie haben das Glück, eine Spielergeneration zu betreuen, die fast ausnahmslos im lukrativen Ausland Vereinsvolleyball spielt - und dort Erfahrung auf Spitzenniveau sammelt.

So sind die Deutschen 2012 Olympia-Fünfter in London geworden. Bei dieser WM haben sie sich nun nochmals gesteigert. Dass in der kommenden Saison sechs Spieler sowie Heynen bei polnischen Vereinen unter Vertrag stehen, kann auch als großes Versprechen in Richtung Olympische Spiele 2016 angesehen werden. Die deutschen Verbands-Funktionäre hoffen, dass der WM-Erfolg schon jetzt auf die Liga abstrahlt, die kaum finanzielle Mittel hat und in der es mangels Konkurrenz im Grunde nur noch um den Zweikampf zwischen Berlin und Friedrichshafen geht.

Auch einen großen Fernsehpartner gibt es hierzulande weiterhin nicht. In diesem Zusammenhang hat sich auch während der WM gezeigt, dass Volleyball weiterhin als Randsport wahrgenommen wird - trotz der 62 000 Zuschauer beim Eröffnungsspiel im Warschauer Nationalstadion. In Polen wurden fast alle WM-Spiele nur im Bezahlfernsehen übertragen. Auch, weil der Rechteinhaber Polsat über fehlende staatliche Unterstützung klagte. Und in Deutschland durfte Sport1 das Halbfinale wegen Rechteproblemen dann doch nicht ausstrahlen. Die deutschen Frauen haben es da besser: Ihre WM-Spiele sind von diesem Dienstag an im Free-TV zu sehen.

© SZ vom 22.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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