Hertha BSC:Mehr Kniffel als Kniffe

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Robin Quaison überwindet Rune Jarstein im Berliner Tor und macht seinen dritten Treffer. (Foto: O.Behrendt/imago images)

Nein, Mainz 05 erfindet das Rad nicht neu. Aber ein schlüssiger Plan reicht derzeit, um 3:1 in Berlin zu gewinnen. Unter Trainer Jürgen Klinsmann hat sich die Hertha so auf die Defensive kapriziert, dass jegliche Kreativität nach vorne fehlt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Samstag erschien in L'Équipe ein Interview, das zu Gegenwart und Zukunft des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC einige interessante Aspekte offenbarte. Das lag zum einen an den Antworten des Interviewpartners des französischen Sportblatts, Herthas Wintereinkauf Lucas Tousart. Aber auch an den Fragen, die an den flugs an Olympique Lyon zurück verliehenen Mittelfeldspieler gerichtet wurden. Weil sie etwas über die Außenwahrnehmung des Berliner Klubs erzählen, der sich zuletzt gern als international relevanter "Big City Club" und Champions-League-Teilnehmer in spe inszenierte.

Ob er sich nicht höhere Ziele hätte setzen können, wurde also Tousart gefragt; und es war auch die wenig charmante Erkundigung zu lesen, ob er von Olympique Lyon "gedrängt" wurde, den Klub zu verlassen - eine Ablöse von angeblich 24 Millionen Euro sei ja eine hohe Summe (für einen Spieler wie ihn, sollte das wohl heißen, wo doch der Markt als verrückt gilt und Olympique an teurere Verkäufe gewöhnt ist). Seine Entscheidung könne tatsächlich "etwas seltsam" anmuten, räumte Tousart ein, sie sei aber "wohlüberlegt". Es könne interessant sein, Teil eines neuen Projekts zu werden, Berlin stehe für die deutsche Kapitale und neuerdings, durch Herthas Großinvestor Lars Windhorst, auch für Kapital, "sie wollen die Dinge richtig angehen".

Eine Folgefrage blieb trotz dieser Worte scharf wie die Klinge einer Guillotine. Ob für den Fall eines Hertha-Abstiegs eine Klausel im Vertrag stehe, die ihm, Tousart, den Gang in die zweite Liga erspare. Gewiss, sagte Tousart. Aber er sei sich sicher, sie nicht ziehen zu müssen.

Nun denn: Die Chancen, mit dieser Einschätzung richtig zu liegen, wurden auch am Samstag nicht geringer, obwohl die Hertha gegen Mainz 05 mit 1:3 verlor. So richtig in der Bredullje, wie eines dieser französischen Wörter lautet, die das Berlinerische seit dem Einfall der Hugenotten bereichert haben, fühlt sich die Hertha nicht, mochte es auch die sechste Heimniederlage der Saison gewesen sein. Denn der Abstand zum Relegationsplatz beträgt - wegen des eklatant schlechteren Torverhältnisses des Tabellen-16. Düsseldorf - im Grunde sieben Punkte. Allet juut also?

Nun ja, Pfiffe gab es schon, aus objektiv nachvollziehbaren Gründen. "Die Mainzer haben es nicht schlecht gemacht", sagte Herthas Mittelfeldtalent Arne Maier. "Aber wir haben heute insgesamt nicht gut genug Fußball gespielt." Was insgesamt zutraf und womöglich auch damit zu tun hat, dass Trainer Klinsmann das von hinreichend offensivem Talent durchdrungene Team erst mal durch maximale Fokussierung auf die Defensive zu stabilisieren versucht hat. So verlangt Maiers Bemerkung letztlich nur nach einer Präzisierung: Herthas Vortrag in der ersten Halbzeit war die bedrückendste Vorstellung seit Monaten.

Die Gründe? Er wolle wirklich keine Ausrede ins Feld führen, beteuerte Trainer Jürgen Klinsmann, als er erklärte, sein Team sei geistig und schließlich auch körperlich erschöpft gewesen. "Als Erstes habe ich mir in der Kabine Vedad Ibisevic, meinen Kapitän, geholt und gesagt: ,Vedad, ich glaube, wir brauchen erst mal zwei Tage frei'", sagte er. Ursache seien die 120 Pokalminuten vom Dienstag bei Schalke 04 gewesen, wo Hertha nach 2:0-Führung noch ausschied. Zudem hätten die rassistischen Rufe auf Schalke gegen Jordan Torunarigha am Team genagt, sie führten am Samstag zu einer massiven Solidarisierungsaktion der Hertha-Gemeinde, auf und neben dem Rasen. Doch selbst um diese Umstände bereinigt wirkte Herthas Spiel in seinem Mangel an Struktur bedenklich.

So billig wie der Mainzer Angreifer Robin Quaison kommt man in der Bundesliga selten zu einem Hattrick (17./82./90.+4); auf der anderen Seite verblüffte, wie ungeplant Hertha mit dem hohen Ballbesitz gegen die defensiv anfälligen Mainzer umging. Der FSV durfte sich wiederum freuen, den Sieg auch an der Taktik-Tafel erzielt zu haben. Mainz-Coach Achim Beierlorzer erklärte, vom Auftritt der Berliner auf Schalke "fasziniert" gewesen zu sein. Die Schlüsse, die er daraus zog, führten dazu, dass sein Team in den richtigen Zonen und Phasen ein intensives Pressing aufzog und inbrünstig einem schlüssigen Matchplan folgte. Mainz erfand das Rad nicht neu, aber im Vergleich zu Mainz wirkten die Berliner in der Offensive organisiert wie eine Truppe, die aus dem Würfelbecher auf den Platz geworfen wurde. Man sah mehr Kniffel als taktische Kniffe. Leise Alarm musste Mainz erst schlagen, als Klinsmann die offensive Reserve mobilisierte, den spielfreudigen Dodi Lukebakio, den eher so mittel engagiert wirkenden Javairo Dilrosun, sogar den zuletzt verschmähten Kapitän Vedad Ibisevic.

Nur: Viel mehr als Unübersichtlichkeit bewirkte das nicht. Bezeichnend, dass das 48. Saison-Gegentor der Mainzer keine reine Hertha-Produktion war. Das späte Berliner 1:2 entsprang einem vom Mainzer Verteidiger Jeffrey Bruma ins eigene Tor gelenkten Kopfball von Dedryck Boyata. Herthas Torausbeute in zehn Partien unter Klinsmann erhöhte sich damit auf neun. Mager? Mag sein. Aber wie heißt das doch so schön: Hertha steckt in einem Entwicklungsprozess.

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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