Hertha BSC:Konter gegen Klinsmann

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Zwei Klinsmann-Spieler: Krzysztof Piatek (l.) und Matheus Cunha. (Foto: imago images)

Beim 3:3 in Düsseldorf gelingt Hertha ein beachtliches Comeback. Daran sind vor allem beteiligt: Spieler, die der Ex-Coach massiv kritisierte - und solche, die er für viel Geld holte.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Es sind nicht so sehr die Spiele an den Wochenenden, die den abstiegsgefährdeten Fußballern von Hertha BSC Stress bereiten, es sind die Tage dazwischen. Jeden Tag droht ein Nachschlag vom ehemaligen Trainer Jürgen Klinsmann. Vorige Woche erschien sein Memorandum, in dem er mit der Hälfte des Kaders abrechnete. Der Torwart Thomas Kraft: "ständig krank oder verletzt". Der Außenverteidiger Lukas Klünter: "technisch zu schwach". Der Innenverteidiger Karim Rekik, der Angreifer Dodi Lukebakio: "nicht leidensfähig". Die Mittelfeldspieler Per Skjelbred und Vladimir Darida: "kaum Aussicht auf Mehrwert" beim Verkauf.

Diese Sechs standen alle auf dem Platz, als die Hertha bei Fortuna Düsseldorf in der ersten Halbzeit mit 0:3 Toren unterging. Hat Klinsmann also Recht gehabt?

Bis auf den ausgewechselten Lukebakio standen die so Kritisierten aber auch alle auf dem Platz, als die Hertha in der zweiten Halbzeit zum 3:3 ausglich. "Die Jungs haben überragend gekämpft - das zeigt etwas!", sagte der Norweger Skjelbred. Es wirkte, als habe die vom turbulenten Klinsmann-Abschied paralysierte Mannschaft nach der ersten Halbzeit ihren toten Punkt überwunden.

Für die nahe Zukunft ist Skjelbred deshalb vorsichtig zuversichtlich, auch in einem anderen Punkt: "Ich glaube, von Jürgen Klinsmanns Seite ist jetzt alles raus - ich denke, er ist fertig."

Am kommenden Samstag spielen die Berliner daheim gegen Werder Bremen. Die Partie gegen den Tabellenvorletzten ist von extremer Wichtigkeit, und sollte Klinsmann vorhaben, auch noch weiterhin Porzellan zerschlagen, dann müsste er sich in dieser Woche erneut zu Wort melden und Herthas Vorbereitung aufs Bremen-Spiel stören. Der Manager Michael Preetz wird das genau beobachten. Er stand erstens am meisten in Klinsmanns Kritik, er sucht zweitens längst einen Trainer für die kommende Saison und muss drittens von Woche zu Woche beurteilen, ob der derzeitige Interimstrainer Alexander Nouri nicht doch überfordert ist. Als Preetz nach diesem zwiespältigen 3:3 also gefragt wurde, wie es um Nouris Zukunft stehe, da gab er keine eindeutige Antwort, sondern fasste im Grunde nur noch mal die turbulenten drei Wochen zusammen. Daraus ergab sich das Gefühl, dass Preetz am liebsten erst mal Ruhe einkehren lassen würde. Er gibt Nouri keine Garantie, stellt ihm aber auch kein Ultimatum, weil er selbst unsicher zu sein scheint, wie sich Herthas Fußball kurzfristig entwickelt. Nach der ersten Halbzeit in Düsseldorf hätte Preetz sicher sein können: katastrophal. Nach der zweiten Halbzeit aber: vielleicht doch hoffnungsvoll?

Gegen Bremen wird sich das Bild weiter schärfen - und erst recht Herthas Tabellensituation. Mit einem Sieg wäre man dem Klassenverbleib recht nahe, Nouri könnte bis zum Saisonende Trainer bleiben und Preetz parallel die kommende Saison planen. Bei einer Niederlage gegen Bremen hingegen wäre nichts mehr sicher: nicht der Klassenverbleib und auch nicht Nouris Job als Interimstrainer.

Beim 2:1-Sieg in Paderborn, vier Tage nach Klinsmanns Rücktritt, hatten die Berliner schon nicht gut gespielt und nur von ihrer individuell höheren Qualität profitiert. Nach dem 0:5 daheim gegen Köln und dem 0:3 in der ersten Halbzeit in Düsseldorf schien klar zu sein, dass es so nicht weitergehen kann. "Ich dachte, ich bin im falschen Film", sagte Preetz über seine Gefühle in der Pause. Doch in der zweiten Halbzeit kamen die Berliner zurück, glichen zum 3:3 aus und feierten das Unentschieden als Triumph der Moral. Dass ihr Treffer zum 1:3 ein kurioses Eigentor des Düsseldorfers Erik Thommy war und dass Krzysztof Piateks Elfmeter zum 3:3 ein zweifelhaftes Foul durch Fortunas Torwart Florian Kastenmeier vorausgegangen war - geschenkt. Die Umstände dieses Comebacks interessierten die Berliner weniger. "Wir haben Moral gezeigt und bewiesen, dass wir ein Team sind", sagte Mittelfeldmann Maxi Mittelstädt. Punkt.

Gerettet wurden die Berliner dabei ausgerechnet von den Klinsmann-Verpflichtungen Matheus Cunha und Krzysztof Piatek. Die beiden Angreifer, die sich als Neulinge in einer verunsicherten Elf verständlicherweise noch schwer tun, haben die Hertha allein mit ihrer individuellen Qualität aus der Bredouille gezogen. Cunha zeigte in der zweiten Halbzeit auch gestisch enorme Präsenz und erzielte den sehenswerten Anschluss zum 2:3; Piatek demonstrierte in mehrere Aktionen, dass er ein brillanter Strafraumspieler sein kann. Und so hinterlässt Klinsmann in Berlin nicht nur verbrannte Erde, sondern auch zwei (allerdings sehr teure) Spieler, die der Hertha den Klassenverbleib sichern könnten.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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