Hertha BSC:Herzschmerz

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Mit der Verpflichtung des Franzosen Lucas Tousart erweitert die Berliner Hertha ihr Potenzial im Mittelfeld, verprellt aber endgültig ihr wohl größtes Talent: Arne Maier will weg. Am liebsten sofort.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstagvormittag gab es noch Lob von höchster Stelle, vom Präfekten des Hertha-Großinvestors Lars Windhorst persönlich, um genau zu sein.

"Superpass, Arneeee!!!!", brüllte Jürgen Klinsmann, Hertha-Chefcoach und Vertrauensmann des Finanzjongleurs, quer über den Trainingsplatz, als Arne Maier, 22, endlich wieder Arne Maier war. Aus dem Herzen des Spielfeldes hatte der deutsche U 21-Nationalspieler einen Pass geschlagen, der an Bernd Schuster erinnerte und so anmutig daherkam, dass die folgende Aktion - Flanke, Ball neben das Tor - dadurch fast nebensächlich wurde.

Wer weiß, was Maier durch den Kopf schoss, als Klinsmanns Lob durch die Stoffmütze an seine Ohren drang. Fragen konnte man ihn nicht. Als er vom Trainingsplatz kam, beschied er den Journalisten, dass er "alles gesagt" habe, was es zu sagen gebe. Und fürwahr: Er hatte es getan, in großer Deutlichkeit. Maier, nicht nur talentiertester Absolvent der Hertha-Akademie, sondern auch verewigt im imaginären Notizbuch von Bundestrainer Joachim Löw, will den Verein seines Herzens verlassen. So schnell wie möglich.

Seine Abwanderungsgedanken tat er ausgerechnet in dem Medium kund, das Klinsmann einst so bitter bekriegte und das nun wohlwollend über ihn schreibt: die Bild-Zeitung. "Nach intensiver Bedenkzeit habe ich um ein Gespräch mit den Verantwortlichen, also Michael Preetz und Jürgen Klinsmann, gebeten und danach meine Entscheidung - noch in diesem Transferfenster wechseln zu wollen - mitgeteilt", sagte Maier am Sonntag. In diesem Transferfenster heißt: bis 31. Januar.

Die neuen Verpflichtungen können wie ein Misstrauensvotum gegen Maier wirken

Die Antwort ließ Preetz am Montag folgen, bei Sky. "Wir denken überhaupt nicht darüber nach, Arne Maier abzugeben", sagte Preetz. Kaum war die Sendung vorüber, konterte Maier, wieder via Bild. "Dieses Statement kommt für mich total aus dem Nichts", sagte Maier, holte erst tief Luft und dann weit aus.

Er habe in den vergangenen Tagen mehrere intensive Gespräche mit den Verantwortlichen geführt, und dort wurde "unter anderem Verständnis für meine Situation gezeigt, mir aber auch klar signalisiert, dass man mit mir sportlich aktuell nicht plant. Auch sprechen sämtliche Verpflichtungen dafür". Zudem erklärte Maier, dass "sogar besprochen wurde, dass es der Wunsch von Hertha wäre, dass ich nicht zu einem direkten Konkurrenten wechseln solle. Da sollten sich die Verantwortlichen besser absprechen." Zumindest diese Version des Gesprächs klingt, als habe er von Klinsmann und Preetz unterschiedliche Signale erhalten. Gibt es verschiedene Strömungen im Klub, der seit dem Einstieg von Klinsmann und Windhorst so aufgewühlt ist? Einen Konflikt zwischen altem und neuem Regime?

Die Verpflichtungen, von denen Maier sprach, berühren tatsächlich seinen Wirkungsbereich im Mittelfeld. Von seinen - naturgemäß noch nicht ausgereiften - Anlagen her ist Maier einer dieser Profis, die man sich gut als Nachfolger von Frenkie De Jong bei Ajax Amsterdam oder - weit perspektivischer - vielleicht sogar mal von Toni Kroos in der Nationalelf vorstellen kann (ja, der Kroos, für den Klinsmann als Bayern-Trainer keine Verwendung hatte und der seit Jahren bei Real Madrid hymnisch besungen wird). Denn Maier ist ein Spieler, der den Ball fordert und ihn in einer strategischen Position gut und sicher verarbeiten will und kann. "Hektisch werde ich eigentlich nur, wenn ich nicht den Ball habe. Ohne Ball bin ich unglücklich", sagte Maier 2018 dem kicker.

Dann kamen aber zum Jahreswechsel Santiago Ascacíbar aus Stuttgart, und nun bestätigte Hertha die Verpflichtung von Lucas Tousart von Olympique Lyon - für eine Summe, die französischen Experten so absurd hoch vorkommt, dass die Kerzen beim Lichterfest der Stadt nicht mehr der Jungfrau Maria, sondern der Berliner Hertha gewidmet werden müssten. Tousart, 23, soll 25 Millionen Euro kosten, wird aber bis Saisonende an Lyon zurückverliehen. "Eine Investition in die Zukunft", nennt man das. Ascacíbar ist ein giftiger Sechser, Tousart eher ein Achter.

Aber beides eben: die Arne-Maier-Position.

In Hertha-Fan-Foren war zu lesen, dass Maier nicht direkt beim ersten Gegenwind schmollen solle. Zumal er etwa neun Monate lang verletzt war, im Grunde nur für eine allerdings gute U 21-EM zur Verfügung stand. Andererseits kann Maier die bislang eher ballbesitzfeindlichen Auftritte der Hertha unter Klinsmann und die Verpflichtungen von Ascacíbar und Rekordinvestition Tousart nur als ein Misstrauensvotum interpretieren gegen seine Art, Fußball zu spielen und zu denken. Beide kommen weit mehr als er selbst über die Physis, wie es Lyons Sportdirektor Juninho etwas spitz über Tousart formulierte.

Auch wenn bislang kein konkretes Angebot kolportiert wurde - einen Markt für Maier dürfte es geben, in Deutschland wie im Ausland. Er ist ein "sehr talentierter Kerl", der seine Qualität bewiesen habe, sagt der erfahrene Stürmer Salomon Kalou. Dass Maier gehen wolle, könne man ihm nicht vorwerfen. Im Gegenteil: "Er muss spielen, um besser zu werden", meint Kalou, und in Berlin werde Maier offenbar "keine Gelegenheit dazu" gegeben.

Seine eigene Lage ist noch dramatischer. Kalou, einer der dienstältesten (und beliebtesten) Hertha-Profis, trainiert nicht mit dem Team, sondern individuell. "Ich bin bereit, ich bin fit, ich weiß nicht, was das Problem ist ...", rätselte Kalou am Dienstag nach einer Einheit, der ein Hauch von Isolationshaft anhaftete. Direkte Vorwürfe erhob er nicht, aber er sagte, dass er derlei noch nicht erlebt habe, nicht einmal beim FC Chelsea; seine Erfahrung besage, dass erfahrene Spieler mit Respekt behandelt werden. "Ich bin nicht seit fünf Tagen oder fünf Monaten hier, sondern seit fünf Jahren. Und ich weiß, wenn die Mannschaft mich braucht, würde ich meinen Job machen," sagte Kalou. Womöglich stimmt das auch. Doch dass es in der gegenwärtigen Konstellation noch dazu kommt, darf bezweifelt werden.

© SZ vom 29.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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