Heidenheim - Leverkusen:Einen im Tee

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Rote Gestalten im erstklassigen Ostalb-Nebel: Die Heidenheimer feiern den Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Zweitligist Heidenheim entscheidet das Pokalspiel gegen Leverkusen in der Kabine - nach der Pause präsentieren sich beide Teams völlig verändert.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Der Drucker, der im Presseräumle des schwäbischen Zweitligisten 1. FC Heidenheim direkt neben dem Butterbrezelbüffet steht, konnte nichts dafür. So weit man das beurteilen konnte, erledigte er seinen Job ohne Fehl und Tadel, er druckte und druckte und druckte, aber nach dem Spiel nahm kaum jemand von ihm Notiz. Vor dem Spiel war das noch anders gewesen, da konnten es die Reporter kaum erwarten, die ebenfalls ordnungsgemäß ausgedruckte Aufstellung in die Hände zu bekommen. Würde Leverkusens Trainer Peter Bosz nach dem Bundesliga-Sieg gegen den FC Bayern nun im Pokal rotieren?

Und: Würde Heidenheims local hero Marc Schnatterer nach seiner Verletzung wieder von Anfang an spielen können? Die Antworten lauteten "ja" und "nein" und wurden im Presseräumle selbstverständlich fachmännisch diskutiert. Und im Drucker blieb kein einziges Blättle liegen.

Aber nach dem Spiel druckte der Drucker und druckte, und wer ein Blatt herausnahm, tat das maximal höflichkeitshalber.

Es gibt Spiele wie diese Pokalpartie im schwäbischen Teil Sibiriens, die sich allen ausgedruckten Wahrheiten verweigern. Die einzigen Daten, die an diesem Abend zählten, waren das Ergebnis (2:1 für den Außenseiter) sowie die Außentemperatur, die man andererseits gar nicht so genau wissen wollte. An diesem Abend, der gegen Ende noch mit einem erstklassigen Ostalb-Nebel überzeugte, war es wunderbar wurscht, ob Leverkusen in der ersten Hälfte nun 82 Prozent Ballbesitz hatte oder doch nur 77,7. Kein Blatt lag vor den Trainern in der Pressekonferenz. Sie brauchten keine Zahlen, um ihre fachkundigen Urteile zu fällen.

"Fußball kann manchmal so sein", sagte Heidenheims Trainer Frank Schmidt. "So ist Fußball", sagte Peter Bosz und klang in diesem Moment wie ein wirklich professionelles Huub-Stevens-Double.

Der letzte Ort, der sich der Datenflut im Fußball noch verweigert, ist die Kabine. Und genau dort wurde dieses Achtelfinale entschieden - und zwar in der bis heute mythenumrankten Halbzeitpause, in der angeblich nur ein Pausentee serviert wird.

"Ich habe keine Ahnung, was in der Halbzeit in unseren Köpfen los war", sagte Leverkusens Julian Brandt später. Man verstand ihn nicht so gut, weil die Heidenheimer laute Lieder sangen, die man auch nicht so genau verstand. Aber wenn die Spieler des siegreichen Zweitligisten mal kurz Luft holten, hörte man Brandt solche Sätze sagen: Die Art, wie Bayer in der zweiten Hälfte gespielt habe, habe er "selten erlebt"; selten sei "eine Niederlage so gerechtfertigt gewesen" wie nach dieser zweiten Halbzeit; da habe man "nur noch schlampig gespielt". Die Anklage unterstrich Mitspieler Julian Baumgartlinger, der ein paar Minuten später fast wortgleich bemängelte, man sei "zu schlampig aus der Kabine gekommen und habe die Bälle nur noch in Knie- und Hüft- höhe gespielt". Der Trainer Bosz sagte es so: "Der Unterschied zwischen unseren beiden Halbzeiten war zu groß. Das darf nicht passieren. Wer so viele Bälle verliert wie wir nach der Pause, darf nicht gewinnen."

Tatsächlich hatte sich dieses Pokalspiel einen Spaß daraus gemacht, einen weiteren Mythos des Fußballs zu zitieren, allerdings mit umgedrehter Logik. Wer wie Leverkusen durch Brandt kurz vor der Pause einen schön herausgespielten Führungstreffer erzielt (44.), darf sich üblicherweise "ein Tor zum psychologisch günstigsten Zeitpunkt" attestieren lassen - weil man beschwingt in die Kabine tänzelt, während der Gegner frustriert den Pausentee runterwürgt. In Heidenheim war's genau andersrum: Der überlegene Erstligist nahm den verdienten Treffer offenbar zum Anlass, das Spiel für bewältigt zu erklären. Der Zweitligist aus Heidenheim dagegen ließ sich von diesem Tor erst richtig reizen.

"Ich habe den Jungs in der Kabine gesagt, dass Leverkusen beim Sieg gegen Bayern zur Pause auch 0:1 hinten lag", erzählte Trainer Schmidt später, "unser Plan war es, in der ersten Hälfte erst mal sachlich zu verteidigen und in der zweiten Hälfte die Emotion rein zu bringen." Trainer tun manchmal so, als habe sich ein Spiel ausschließlich ihrer Taktik unterworfen, Schmidt ist in dieser Hinsicht aber völlig unverdächtig. Heidenheims Coach ist kein Poser, und es war ja tatsächlich nicht zu übersehen, dass sich mit Wiederanpfiff zwei unterschiedliche Spannungskurven begegneten. Während die Leverkusener sich mit großer Gemütlichkeit die Stutzen richteten, fielen die Heidenheimer mit einstudierter Leidenschaft über sie her. Zwei Minuten nach der Pause eroberte Heidenheims Sechser Sebastian Griesbeck gemäß seines Kosenamens "die Maschine" den Ball, mit seinem Pass sauste der elegante und möglicherweise erstligataugliche Österreicher Nicolas Dovedan Haken schlagend davon und schoss zum Ausgleich ein.

Der Rest der zweiten Hälfte zeigte zweierlei: Dass die frühere Ecke-Kopfball-Tor-Mannschaft aus Heidenheim inzwischen sauberen Fußball spielt; und dass es nie eine gute Idee ist, wenn Leverkusen auf all seine Benders verzichtet. Ohne die Zwillinge Lars (verletzt) und Sven (geschont) fiel Bayer in historische Bequemlichkeitsmuster zurück und blieb auch nach dem Rückstand (Multhaup, 72.) seltsam unbeteiligt.

Nein, einen Wunschgegner fürs Viertelfinale habe er nicht, sagte Frank Schmidt später noch. Viel wichtiger wäre ihm, dass der Drucker dann wieder eine Startformation ausdruckt, in der der Name "Marc Schnatterer" steht.

© SZ vom 07.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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