Hannover 96:Schlecht wie nie

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Hannover 96 trennt sich nach dem 1:5 in Dortmund von Trainer André Breitenreiter. Doch die Fans machen vielmer die Kaderplanung und die Vereinsführung für die Misere verantwortlich.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Nach der 1:5-Niederlage stand André Breitenreiter auf dem Spielfeld vor der Gästetribüne und applaudierte den Hannoveraner Fans mit wehmütigem Blick. Anschließend sagte er im Kabinengang: "Wir brauchen jetzt eine klare Ansage, wie es weitergeht." Der Trainer von Hannover 96 bettelte am Samstag regelrecht um die Erlösung von der zermürbenden Salamitaktik des zaudernden Vereins. Die geforderte Ansage kam dann am Sonntag per Pressemitteilung um 13.49 Uhr: "André Breitenreiter und sein Team haben in den letzten Wochen und Monaten wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Mannschaft wieder in die Erfolgsspur zurückzuführen; dies ist aber leider nicht gelungen, deshalb sind wir zu dem Schluss gekommen, eine Trennung vorzunehmen."

Die Nachfolge Breitenreiters, dessen Vertrag erst im Sommer bis 2021 verlängert worden war, hatte der Klub zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht geregelt. Die Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Retter hatten skeptische Beobachter bereits dafür verantwortlich gemacht, dass der Trainerwechsel noch nicht in der vorangegangenen Woche nach dem entmutigenden 0:1 gegen Bremen vollzogen worden war. Mittlerweile ist die Situation für einen neuen Coach mit elf Punkten nach 19 Spieltagen zwar noch prekärer geworden, allerdings hatte mit einer Überraschung beim Gastspiel in Dortmund ohnehin niemand gerechnet.

Beten für Hannover: Auch in den besseren Tagen von 96 – als Sportdirektor Horst Heldt und Trainer André Breitenreiter ins ZDF eingeladen wurden – schwebte Klubchef Martin Kind wie ein Pate über dem Geschehen. (Foto: Martin Hoffmann/imago)

Am Sonntagabend wurde die Nachfolgelösung dann aber doch schon bekannt: Thomas Doll, einst Coach beim HSV und Borussia Dortmund und bis November 2018 bei Ferencvaros Budapest in Ungarn angestellt, wird an diesem Montag schon das Training in Hannover leiten, wie der Klub bestätigte.

Dortmunds Trainer Favre hat am Samstag angesichts der BVB-48-Punkte-Rekordmarke abgewiegelt: "Das ist doch nur Statistik!" Breitenreiter wäre begeistert gewesen, wenn Sportdirektor Horst Heldt diesen Satz ebenfalls formuliert hätte. Hannover hat nämlich auch einen Vereinsrekord geschafft: elf Punkte nach 19 Spieltagen - so schlecht war der Klub in 30 Jahren Bundesliga zu diesem Zeitpunkt noch nie. Es hat in 56 Jahren Bundesliga sogar nur acht Mannschaften gegeben, die zu diesem Zeitpunkt noch schlechter waren, allen voran das berühmte Tasmania Berlin, das 1966 nach 19 Spielen (umgerechnet auf die Dreipunkteregel) nur fünf Punkte besaß.

Heldt aber hat nicht auf die Bedeutungslosigkeit von Statistiken verwiesen, als er nach dem Spiel gefragt wurde, was nun aus Breitenreiter werde. Heldt wirkte traurig, er sprach, als wolle ihm die Stimme brechen.

Doch sie brach nicht. Als Breitenreiter den Fans applaudierte, sah das schon nach Verabschiedung aus. "Breitenreiter raus!", haben die Fans nicht gerufen, sie brüllten stattdessen wie so oft: "Kind muss weg!" Der 96-Präsident Martin Kind, dessen Kampf um die Übernahme des Klubs von den Fans abgelehnt wird, stand am Sonntag vor der Entscheidung, ob man sich nach fast zwei Jahren, nach 22 sieglosen Auswärtsspielen, nach acht Partien ohne Erfolg und speziell nach diesem 1:5 vom Trainer trennt. Am Sonntagmorgen, als die TV-Reporter vor dem Hannoveraner Stadion bereits die Namen der Nachfolge-Kandidaten Thomas Doll, Mirko Slomka, Steffen Baumgart und Stefan Effenberg in ihre Kameras beteten, erschienen weder Breitenreiter noch die Spieler, weil das Auslaufen gestrichen war.

Kind, Heldt und der 96-Geschäftsführer Björn Bremer diskutierten derweil über den Trainer Breitenreiter, der 2017 mit Hannover in die Bundesliga aufgestiegen war und 2018 mit 39 Punkten auf Platz 13 die Klasse gehalten hatte. Da haben aber noch Fußballer wie Salif Sané (jetzt Schalke), Felix Klaus (jetzt Wolfsburg), Ihlas Bebou (längerfristige Muskelverletzung) und Niclas Füllkrug (Knorpelschaden) relevante Rollen gespielt. Diese Spieler fehlen nun - Folgen einer insgesamt eher unglücklichen Kaderplanung. Während der Torwart Michael Esser nach dem über eine Stunde hinweg sogar recht ansehnlich gestalteten Hannoveraner Spiel in Dortmund sagte, "der Trainer kann doch für unsere Fehler nichts", ergriffen auch die Fans im Internet Partei für Breitenreiter. Wie schon im Stadion, so formierte sich der größere Widerstand auch hier gegen Klubchef Kind.

Doch anders als in Düsseldorf im Fall Friedhelm Funkel war in Hannover der Einfluss der Fans ebenso wenig ausreichend wie die tabellarische Konstellation. Hannover droht auch nach dem Trainerwechsel der Abstieg. Hoffnung vermittelt allenfalls der geringe Abstand zu den rettenden Plätzen. Berücksichtigt man Erhebungen, wonach zum Erreichen des Relegationsplatzes zuletzt im Schnitt 33 Punkte nötig waren, braucht Hannover aus 15 Spielen noch 22 Punkte - das wären acht Siege in acht Heimspielen. Eine ambitionierte Rechnung für ein Team, das die jüngsten vier Heimspiele ohne eigenes Tor verloren hat.

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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