Hannover 96:Gut bedient

Lesezeit: 3 min

Komplett bedient: Der erhoffte Aufschwung bleibt bei Hannover auch unter dem neuen Trainer Thomas Doll steht aus. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Der Tabellenvorletzte Hannover 96 wird von Hoffenheim vorgeführt, als wären die Niedersachsen bereits in die dritte oder vierte Liga durchgereicht worden.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Thomas Doll ist erkältet, seine Stimme ist belegt, die Nase läuft. Aber der Trainer von Hannover 96 ist auch in suboptimaler Verfassung keiner, der klare Worte scheut. Das hatte man fast vergessen, seine vergangene Station in der Bundesliga bei Borussia Dortmund liegt ja schon über zehn Jahre zurück. Nun stand Doll diesen Samstag verschnupft in den Katakomben des Stadions der TSG Hoffenheim, seine Mannschaft hatte gerade 0:3 (0:2) gegen die Badener verloren, und Doll meinte: "Ganz ehrlich, wir können auch mit sieben Toren heute nach Hause fahren." Der 52-Jährige wusste, dass es an der Leistung und am Ergebnis nichts zu beschönigen gab, Doll stellte fest: "Das einzig Gute an diesem blöden Spieltag ist, dass die Anderen auch verloren haben."

Die "Anderen" sind der Tabellenletzte 1. FC Nürnberg (zwölf Punkte), der am Montag noch Tabellenführer Dortmund empfängt, der Tabellensechzehnte VfB Stuttgart (15) und der Tabellenfünfzehnte FC Augsburg (18 Zähler) - Stuttgart verlor gegen Leipzig (1:3), Augsburg am Freitag gegen den FC Bayern (2:3). Und Hannover bleibt Tabellenvorletzter mit 14 Punkten. Es ist schon ein befremdliches Schneckenrennen in dieser Saison im sogenannten Abstiegskampf. Das einzig Tröstliche für alle Beteiligten ist derzeit, dass niemand aus dem Quartett zwei gute Spiele hintereinander abliefert. Schon eines scheint ja zu viel verlangt zu sein. Wobei Hannover vergangene Woche, nach neun sieglosen Spielen in Serie, wenigstens gegen Nürnberg gewonnen hatte. Nach Hannovers Auftritt in Hoffenheim ist es allerdings ein Rätsel, wie das gelingen konnte.

96-Manager Horst Heldt stellte ernüchtert fest: "Nach zwölf Minuten war der Aufwind von Nürnberg wieder flöten." Zu diesem Zeitpunkt lagen die Niedersachsen gegen dominierende Hoffenheimer schon 0:2 zurück. Das 0:1 durch Joelinton nach nur vier Minuten bereitete 96-Verteidiger Julian Korb mit einem kläglichen Rettungsversuch per Kopfball quasi vor. Und beim 0:2 ließ Walace, angeblich brasilianischer Nationalspieler, Ishak Belfodil nach einem Freistoß des überragenden Kerem Demirbay ungehindert einköpfen. Dass die TSG danach nur noch das 3:0 durch Demirbay (80.) erzielte, war aus Hoffenheimer Sicht ärgerlich. Die Badener hätten ihr Torverhältnis viel stärker aufbessern können, doch drei Aluminiumtreffer und ein guter 96-Torwart Michael Esser verhinderten das. TSG-Trainer Julian Nagelsmann haderte kurz, zeigte sich aber auch mit dem 3:0 "zufrieden". Die Hoffenheimer bleiben durch den Sieg im Rennen um die Europapokalplätze. Wie stabil sie aber wirklich sind nach dem erst zweiten Sieg in den vergangenen elf Spielen, werden die beiden kommenden Auswärtsspiele bei RB Leipzig und Eintracht Frankfurt zeigen. Die TSG zeigte sich zwar stark verbessert, aber 96 war auch ein perfekter Aufbaugegner. Hannovers Kapitän Waldemar Anton gab zu: "Wir hatten keine Chance." Trainer Doll klagte: "Ich bin sehr überrascht, wie blutleer wir nach einer vernünftigen Trainingswoche aufgetreten sind."

Vor drei Wochen hat Doll den Job bei 96 übernommen, und spätestens seit diesem Samstag schwant ihm, wie schwierig die Aufgabe ist, diese Mannschaft in der ersten Klasse zu halten. "Wie leicht wir die Duelle verloren haben, war ernüchternd. Wir gaben nur Begleitschutz", klagte Doll. Seine Mannschaft sei "wie das Kaninchen vor der Schlange durch die Gegend gerannt". Er werde das Training weiter intensiv halten, versprach er: "Denn das brauchen wir, Laufbereitschaft ist ja nicht verboten." Seine Spieler sollten schnell "in die Gänge kommen", fordert der ehemalige Nationalspieler, nur auf die Tabellensituation zu schauen, sei zu einfach. In Hoffenheim ließ 96 alle Grundtugenden des Fußballs missen. Ob hinten, oder vorne - Hannover gewann gefühlt keinen Zweikampf.

Wenigstens machen sich die Spieler und der Trainer nichts vor, Außenverteidiger Matthias Ostrzolek gab zu: "Das ist zu körperlos im Abstiegskampf." Im nächsten Heimspiel trifft 96 mit Eintracht Frankfurt auf den nächsten Europapokalkandidaten. "Die haben auch Tempo und Geschwindigkeit", weiß Doll und fordert: "Wir alle sind geschockt heute. Aber ab Sonntag müssen wir raus aus der Schockstarre." Vorneweg ging Klub-Präsident Martin Kind, 74, der am Sonntag in Sport 1 sagte: "Die Tabelle gibt noch alles her. Ich will nicht absteigen, wir werden kämpfen." Um dann Doll zu unterstützen: "Ich finde es gut, wenn Leute ihre Meinung offensiv formulieren."

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: