Hannover 96:Sonderweg

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Für den Hausfrieden dehnt der Zweitligist die 50+1-Regel. Martin Kind, der Mann mit dem Geld, legt gegen die DFL nach. Er nennt sie ein Kartell. Und will weiter gegen die Regelung vorgehen - wenn nicht als Funktionär, dann als Privatperson.

Von Carsten Scheele, Hannover

Martin Kind trug ein blütenweißes Poloshirt, Sebastian Kramer ein gestreiftes Hemd. Der Geschäftsführer und der neue Vorstandsboss von Hannover 96 standen beim Fototermin eng nebeneinander, doch jeder konnte sehen, wie viel die Männer trennt. Nicht einmal für einen Handschlag vor den Kameras reichte es, obwohl der angebracht gewesen wäre nach einer Einigung, die beim Fußball-Zweitligisten kaum einer für möglich gehalten hatte.

Nach dem Erstliga-Abstieg mag Hannover 96 ein wenig aus dem Blickpunkt verschwunden sein. Der Klub muss sich neu sortieren, gehört mit seiner Mannschaft nach dem Fehlstart auch nicht zu den Aufstiegsfavoriten. Trotzdem ist Hannover 96 noch immer der Verein, der die Debatte führt, die den deutschen Fußball substantiell bewegt: Wie viel Macht dürfen Investoren hierzulande übernehmen?

In der vergangenen Woche wurden die Verhältnisse bei 96 diesbezüglich neu justiert. Ein kleiner Sieg für Martin Kind, den in Fan-Kreisen wenig verehrten Geschäftsführer der Profis, der seit Jahren die komplette Macht im Klub an sich reißen wollte, dabei aber immer wieder scheiterte. Nach einer umsturzartigen Mitgliederversammlung im Frühjahr war Kind der große Verlierer - er sah sich in ständiger Gefahr, von seinen Kritikern im Vorstand als Geschäftsführer abberufen zu werden.

Nun hat sich Kinds Lage verbessert. Wie der Verein bekannt gab, erhält der von der Insolvenz bedrohte Mutterverein (nicht die ausgegliederte Profi-Gesellschaft) von den vier Gesellschaftern der Sales & Service GmbH - Martin Kind, Dirk Rossmann, Gregor Baum, Matthias Wilkening - eine Spende von sechs Millionen Euro (über 25 Jahre gestreckt) sowie ein Darlehen über drei Millionen Euro. Eine Insolvenz sei damit abgewendet; diese hätte "Hannover 96 insgesamt beschädigt, also auch den Profiverein", so erläuterte Kind sein Eingreifen. Doch er geriert sich nicht selbstlos als Retter des Muttervereins, er fordert eine Gegenleistung ein.

Im Gegenzug - und das ist das Brisante an der Lösung - behält die Kapitalseite (u.a. Kind) weitgehende Befugnisse wie ein gleichwertiges Mitspracherecht bei der Ernennung des Profi-Geschäftsführers. Diese Stimmengleichheit widerspricht im Grunde den Statuten der Deutschen Fußball Liga (DFL), wonach die Mehrheit stets beim Klub liegen muss. Kind kratzt damit an der 50+1-Regelung, die DFL hat der Sonderregelung trotzdem zugestimmt. Vielleicht, weil sie registriert hat, dass sich die zerstrittenen Parteien in Hannover endlich bewegen. "Eigentlich war es unvorstellbar, dass es diesen Tag gibt. Aber es ist gelungen, dass alle Seiten mit dieser Einigung zufrieden sind", sagte Klubchef Kramer.

Tatsächlich haben beide Seiten ihr Gesicht gewahrt: Der neue Vorstand hat in einem großen Manöver den Stammverein vor der Pleite gerettet und Kind - bereits vorab - dazu bewegt, seinen Ausnahmeantrag für die 50+1-Regelung beim DFL-Schiedsgericht zurückzuziehen. Kind dagegen hat seinen Machtverlust gestoppt.

Wie sich die künftige Zusammenarbeit gestaltet, scheint jedoch unklar zu sein. Zwar betont Kramer, dass der Mutterverein den Geschäftsführer der Profis jederzeit abberufen könne: "Das ist alles noch möglich." Kind entgegnete: "Dem würde ich dann doch gerne widersprechen." Künftig müssten sich die Gremien in solch wichtigen Personalfragen einig werden. Und wenn die Kapitalseite dagegen sei, dann ändere sich gar nichts.

Kind ließ mehrmals durchblicken, dass er weiter gegen 50+1 vorgehen will, wenn nicht als Funktionär, dann als Privatperson. "Es gibt immer noch zivilrechtliche, kartellrechtliche Möglichkeiten", sagte er. Am Montag legte er gegen die DFL nach, bezeichnete den Ligaverband als "Kartell"; man müsse der DFL das Lizenzierungsverfahren entziehen und eine "neutrale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft" einsetzen. Auch das DFL-Schiedsgericht kritisierte er. Es sei weder neutral noch unparteiisch und habe "nicht die Kraft, um eigene Entscheidungen zu treffen". Vorstandschef Kramer saß zwei Sitzplätze weiter. Auch wenn er sicher gerne etwas entgegnet hätte: Er blieb stumm.

© SZ vom 28.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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