Leipzig:So wie früher wird's nie wieder

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Die sächsische Stadt war einst Hochburg der deutschen Frauen - nach dem Achtelfinale endet diese Ära.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Was schön ist, kann auch weh tun. "Man wird wehmütig, wenn man hier sitzt", sagt Wieland Schmidt, vor ihm das Spielfeld der Leipziger Arena, um ihn herum 6000 Menschen, ausverkaufte Halle bei der Handball-WM der Frauen. Schmidt, 1980 Olympiasieger mit den DDR-Männern und viele Jahre lang bester Torhüter der Welt, kennt die Zeiten noch, als Tausende Fans zur Halle pirschten, um Frauen-Handball zu sehen, ein Phänomen der Stadt, der Region, des ganzen Landes.

Wer in der vergangenen Woche seine Zeit in Leipzig verbrachte, konnte spüren, was Tradition für eine Sportart bedeutet. Drei ausverkaufte Spiele erlebten die deutschen Frauen in der Arena am Sportforum, "ich hab' mir hier jedes Spiel angeschaut", sagt Schmidt und meint damit nicht nur die Auftritte der deutschen Auswahl, die dort am Freitag die Vorrunde mit einem 23:31 gegen die Niederlande beendete, bevor sie ins Achtelfinale weiterzog. Schmidt genießt die Zeit trotzdem, denn er weiß, dass er das in Leipzig nicht mehr erleben wird.

Immerhin spielt wieder eine Kretzschmar im Verein

Noch 2014 spielten die Frauen des HC Leipzig an gleicher Stelle vor 5000 Zuschauern im DHB-Pokal, Schmidt ist Torwarttrainer dort, jahrelang führte der Verein die Zuschauertabelle an, doch im Sommer ging er durch jahrelange Misswirtschaft des Managers insolvent, 1,5 Millionen Euro betragen die Schulden; Ermittlungen wegen Insolvenzverschleppung laufen. Mit einer Jugendmannschaft tritt Leipzig nun in der dritten Liga an, in kleinerer Halle, vor 500 Fans. Und wenn die WM nach den Viertelfinalspielen am Dienstag weiterzieht zur Finalrunde nach Hamburg, ist klar: Damit endet eine Ära. "So viele Leute wie hier waren", sagt Schmidt, "werden wir in Leipzig nie wieder erreichen."

Fünf Minuten Fußweg trennen die Halle im Leipziger Westen vom ehemaligen Zentralstadion, das seit 2010 den Namen Red-Bull-Arena trägt. Bevor der Bundesliga-Fußball in Leipzig einzog, prägte der Frauen-Handball die Stadt: Zusammen mit den Vorgängervereinen VfB und SC Leipzig gewann der HCL 38 nationale und internationale Titel, bestand bis zuletzt aus zahlreichen Nationalspielerinnen. Waltraud Kretzschmar war schon eine Ikone, bevor es Stefan Kretzschmar überhaupt gab. "Leipzig war im Frauen-Handball eine Hochburg", sagt Schmidt, "alle haben sich immer gefreut, hierher zu kommen. So wie man immer gerne gegen den FC Bayern antritt, war es im kleineren Sinne mit dem Frauen-Handball hier auch."

Dass man nach dem Mauerfall eine Größe in der Bundesliga blieb, war eine seltene Erscheinung im Sport des vereinigten Deutschlands. Der Fußball in Leipzig brauchte erst den Mäzen Dietrich Mateschitz, um es 2016 wieder in die Erstklassigkeit zu schaffen; die Handballerinnen wurden währenddessen sechsmal deutscher Meister und siebenmal Pokalsieger. Es war mit Abstand der höchstklassige Sport in der Stadt. Was einen auch zu den Gründen führt, warum die alten Zeiten in der Zukunft nicht wieder herzustellen sind.

Die Fußballer von RB Leipzig und die Handballer des SC DHfK Leipzig haben in den vergangenen Jahren die Aufmerksamkeit weggelenkt von den Frauen des HCL, "da sind wir mit den Zuschauern hinten runter gefallen", sagt Schmidt, "die Menschen können nicht für zwei oder drei Höhepunkte am Wochenende bezahlen". Sollten die jungen Handballerinnen in den nächsten Jahren tatsächlich wieder den Sprung in die Bundesliga schaffen, sind die Zuschauer längst an die anderen beiden Vereine verloren. "Bei mir ist der Eimer immer halbvoll", sagt der neu gewählte HCL-Präsident Rainer Hennig, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es wieder Zahlen werden wie früher." Dieselbe Wanderung gibt es auch bei den Sponsoren: 180 hatte man in der abgelaufenen Saison noch, 36 sind es heute. "Es ist ein bisschen traurig, dass viele vom HC Leipzig weggegangen sind, und die sieht man dann beim DHfK im VIP-Raum wieder", sagt Torwartlegende Schmidt. Er selber war beim Bundesliga-Achten bis vor kurzem auch Torwarttrainer, die Unterstützung untereinander ist trotz der Konkurrenz groß. "Ich wünsche den Fußballern und Handballern vom DHfK trotzdem alles Gute", sagt er. Er geht auch selber oft zu Spielen von RB, schon seit dem Aufstieg in die dritte Liga.

Im Vergleich zu anderen Frauen-Erstligisten hat Leipzig nun einen Standortnachteil: Mit Ausnahme von Bayer Leverkusen und dem BVB Dortmund muss kein Verein mit einem Fußball-Bundesligisten in der Stadt konkurrieren. Gegebenheiten, die zu akzeptieren sind, wenn man wie Schmidt und HCL-Präsident Hennig nun von Neuem etwas aufbaut. In Stefan Kretzschmars Tochter Lucie-Marie, 17, spielt wieder eine Kretzschmar im Verein, aktuell steht das Team auf dem dritten Tabellenplatz bei zwölf Konkurrenten, trotz des jüngsten Altersdurchschnitts von nur 17 Jahren. "Den Nachwuchs wollen wir auf jeden Fall in den nächsten Jahren immer integrieren", sagt Hennig; gerade das Verpflichten teurer Spielerinnen hatte den HC Leipzig ja erst ins finanzielle Desaster geführt. Hennig hofft aber auch, die eine oder andere Spielerin zurückzuholen, die wegen der Insolvenz zum Abschied gezwungen wurde. WM-Torhüterin Katja Kramarczyk verließ als eine der Letzten den Verein, sie pendelt nun zwischen Leverkusen und Leipzig, zwei Mal in der Woche trainiert sie noch unter Schmidt. "Da ist über die Jahre eine Verbindung entstanden", sagt der 63-Jährige. Man hilft sich auch über Vereinsgrenzen hinaus. Was dann ja auch beruhigend sein kann: Nicht alles im Leben ist vergänglich.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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