Handball-WM:Lenker aus der zweiten Liga

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137 Länderspiele mit 156 Toren bestritt Martin Strobl bereits. (Foto: Danny Gohlke/dpa)

Spielmacher Martin Strobel aus Balingen-Weilstetten steht im Aufgebot für die Handball-WM im eigenen Land. Bundestrainer Prokop schätzt seine Aura, Ruhe und taktische Intelligenz.

Von Matthias Schmid, Balingen

In diesen Tagen klappt Martin Strobel häufiger am Abend den Laptop auf und steckt dann ein kleines Speichergerät ein, das er von Bundestrainer Christian Prokop bekommen hat. Der Handballprofi des Zweitliga-Tabellenführers HBW Balingen-Weilstetten findet auf diesem kleinen Stick neben den unterschiedlichsten Angriffs- und Verteidigungssystemen auch Spiele der deutschen Nationalmannschaft, in voller Länge oder in einzelnen Sequenzen. Strobel ist ein kleiner Nerd, was die Taktik in seinem Sport anbelangt. Er kann sich darin verlieren und alles um sich herum vergessen, wenn er stundenlang die Feinheiten des Handballs betrachtet und analysiert: "Ich stoppe dann viel, spule vor und zurück, um mich in die Abläufe besser einfühlen zu können", sagt Strobel.

Einen Spieler wie den 32-jährigen Spielmacher habe er für die bevorstehende Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark (10. bis 27. Januar) gesucht - so begründete Prokop die Entscheidung, warum er den Europameister von 2015 in die Nationalmannschaft zurückgeholt und in das WM-Aufgebot berufen hat.

"Ich setze auf Martin Strobel, weil ich gerade auf der zentralen Position Spieler schätze, die eine gewisse Aura und ein großes Spielverständnis mitbringen", sagte Prokop der Stuttgarter Zeitung. Dass er damit einem Zweitligaspieler auf einer der wichtigsten Positionen mehr vertraut als Erstligaprofis, ist Prokop egal. Er hat eingesehen, dass seine Mannschaft bei der verkorksten EM 2018 in Kroatien ein Spieler in der Mitte fehlte, der auch dann Ruhe und Verlässlichkeit im Passspiel ausstrahlt, wenn es in den Schlussminuten hektisch wird: "Martin steuert das Spiel auf taktisch hohem Niveau, er macht wenige Fehler und bringt eine hohe Passgeschwindigkeit ins Angriffsspiel ein", erläutert der Bundestrainer.

Regisseur Strobel hat nie in der Champions League und nie bei einem Topklub gespielt

Einen Tag vor dem letzten Heimspiel des Jahres gegen Lübeck-Schwartau am zweiten Weihnachtsfeiertag (25:22) sitzt Strobel in der Balinger Arena auf der Tribüne. Er hat noch seine verschwitzten Trainingsklamotten an und sich ein Handtuch um die Schulter gelegt, seine Hände sind voller Harz, weil er sich nach dem offiziellen Trainingsende noch mal eingeschmiert hat, um mit einem Mitspieler seine Stärken im Eins gegen-Eins zu schulen. "Überrascht" seit er gewesen, erzählt Strobel, als ihn Prokop angerufen habe. Strobel ist der erste Zweitligaprofi in der Nationalmannschaft seit Christian Zeitz vor 16 Jahren.

Der EM-Triumph 2015 und die Bronze-Medaille bei den Sommerspielen in Rio 2016 liegen lange zurück. "Die Zeit ging sehr schnell vorbei", sagt Strobel. Er hatte innerlich abgeschlossen mit der Nationalmannschaft, für die er bisher 138 Mal (156 Tore) gespielt hat. Aber lange darüber gegrübelt, ob er das verlockende Angebot annehmen solle, hatte er nicht: "Es ist ein riesengroßer Ansporn in Deutschland vor vollen Hallen mit mehr als 10 000 Zuschauern zu spielen", findet er.

Strobel hatte ohnehin vor, sich mal ein Spiel der Nationalmannschaft live anzusehen - als Fan auf der Tribüne. Unten auf dem Parkett als Protagonist hat er nun natürlich den viel besseren Blick. Strobel ist ein zurückhaltender Mensch, der sich nicht zu wichtig nimmt. Manche verwechseln seine innere Ruhe mit Langeweile und fehlender Führungskraft. Sie würden sich wünschen, dass er mehr aus sich herauskommt und auch mal auf dem Spielfeld als Denker und Lenker seine Mitspieler lauter zurechtweist. Strobel kennt die Vorurteile gegen sein Naturell und seine Spielweise: "Auch meine mangelnde Torgefährlichkeit wird immer hervorgehoben."

Strobel hat ein anderes Verständnis von Führungsstärke. Er vergleicht sich in dieser Hinsicht mit Markus Baur, der dem Nationalteam 2007 mit seiner zurückgenommenen Art zum WM-Titel verholfen hatte: "Ich trete auch mit wenigen Worten bestimmt auf", sagt Strobel. Er genießt hohe Akzeptanz bei seinen Mitspielern, weil sie wissen, dass er sie mit seinen Pässen und Ideen besser machen kann.

"Ich kann die Angriffe so steuern, dass schon nach zwei, drei Aktionen mit einem Tor abgeschlossen sind", hebt er hervor, "und der Ball deshalb gar nicht mehr zu mir zurückkommt. Aber wenn ich die Chance habe, werfe ich schon auch aufs Tor."

Dass ihm nun in der zweiten Liga nach dem Abstieg seines Klubs Balingen vor eineinhalb Jahren der permanente Wettbewerb auf höchstem Niveau fehlt, glaubt er übrigens nicht. Vielmehr deutet er den vermeintlichen Nachteil in einen Vorteil um, indem er sagt, dass er in der neuen Spielklasse endlich mal nach zehn Jahren neue Gesichter kennenlerne und sich umstellen müsse, "weil hier sehr junge und schnelle Profis spielen."

Strobel galt schon früh als hochbegabt auf seiner Position. Der gebürtige Rottweiler wurde 2006 nach dem EM-Sieg der Junioren-Auswahl zum besten Spielmacher des Turniers gewählt, auch ein Jahr später stand er gemeinsam mit Linksaußen Uwe Gensheimer nach dem zweiten Platz im All-Star-Team der Nachwuchs-WM. Doch anders als Gensheimer, der inzwischen in Paris spielt, ist Strobel nie in der Champions League aufgelaufen, nie hat er einen Meistertitel gewonnen. "Ich habe nie bei einem absoluten Topklub gespielt", sagt Strobel, der mit Lemgo 2010 immerhin den EHF-Pokal holen konnte. Er hätte sich auch mal dem THW Kiel anschließen können, Angebote hatte er, aber er entschied sich immer für einen Verein, bei dem er eine tragende Rolle übernehmen und vor allem spielen konnte. Viele Spielanteile erhofft er sich nun auch bei der WM. Und dafür guckt er sich gerne noch mal alte Länderspiele in volle Länge an.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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