Handball-WM:Gegen einen Freund verloren

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Im Achtelfinale hält Brasilien die Spanier am Rand der Niederlage. Spaniens Trainer Ribera betreute bei Olympia in Rio noch den Gegner.

Von Joachim Mölter, Montpellier

Acht Jahre lang hat der Handball-Trainer Jordi Ribera Brasiliens Nationalspieler angewiesen und angetrieben, bis sie nicht nur die Besten in Südamerika waren, sondern auch die Besten in Europa herausfordern konnten. Was in diesem Sport bedeutet: die Besten der Welt. Am Samstag waren seine Zöglinge im WM-Achtelfinale in Montpellier drauf und dran, einen der großen Europäer zu stürzen und erstmals bei einer WM unter die besten Acht vorzudringen - doch nun stand Ribera auf der anderen Seite, auf der seines Heimatlandes Spanien. "Seit der Auslosung habe ich befürchtet, dass dieser Moment kommen könnte", sagte er: "Mein Kopf ist jetzt in Spanien, aber ein Teil meines Herzens ist in Brasilien geblieben."

Der Mann mit dem markanten, kahl rasierten Kopf und dem zerrissenen Herzen erlitt an diesem Abend einen 28:27-Sieg seiner neuen Mannschaft über seine alte. Der 53-Jährige hat Spaniens Auswahl im Sommer vom langjährigen Trainer Manolo Cadenas, 62, übernommen; er kam mit der Empfehlung, Brasiliens Mannschaft zu ihrem bedeutendsten internationalen Erfolg geführt zu haben: der Viertelfinal-Teilnahme bei den olympischen Heimspielen in Rio. Dabei gelangen in der Vorrunde Siege über den WM-Dritten Polen (34:32) und Europameister Deutschland (33:30).

Gegen Brasilien mit fünf Toren der beste Werfer: Spaniens Joan Canellas, von 2013 bis 2016 beim HSV Hamburg und beim THW Kiel aktiv. (Foto: Sylvain Thomas/AFP)

"Meine Gedanken sind jetzt bei der brasilianischen Mannschaft", versicherte Ribera am Samstagabend und erinnerte an die WM-Turniere 2013 und 2015, als er mit ihr die Achtelfinals ebenfalls mit nur einem Tor Unterschied verlor, 26:27 gegen Russland und 25:26 gegen Kroatien. "Wir wissen, dass er immer noch mit uns fühlt", sagte sein Nachfolger Washington Silva Nunes: "Er kann stolz sein, ein Großteil unseres Erfolges haben wir ihm zu verdanken."

Das 28:27 zwischen dem unbesiegten Gruppenersten Spanien und dem Gruppenvierten Brasilien war wider Erwarten das aufregendste Achtelfinale am Samstag gewesen, weitaus spannender als das 31:25 der titelverteidigenden und gastgebenden Franzosen gegen Island vor der Rekordkulisse von 28 020 Zuschauern im Fußballstadion von Lille, das 32:26 der Slowenen über den seit Jahren siechenden Riesen Russland oder das 34:24 der jungen, aufstrebenden Norweger über die geschwächten Mazedonier. "Es war ein ausgeglichenes Match, keiner hatte die Niederlage verdient", fand Brasiliens Torwart Cesar Augusto Almeida, der mit teils spektakulären Paraden maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass die Entscheidung bis zum Schluss offen geblieben war. "Er hat das Spiel seines Lebens gemacht", fand der Spanier Viran Morros.

Ein Globetrotter der Trainerzunft: Jordi Ribera, derzeit Spanien. (Foto: Jean-Paul Pelissier/Reuters)

Die Kontrahenten begannen die Partie unter Vernachlässigung jeglicher Abwehrarbeit. Auf Seiten der Brasilianer zeigten vor allem die Rückraumspieler Joao Pedro Silva (sieben Tore) und Haniel Vinicius Langaro (fünf) sowie der Rechtsaußen Fabio Chiuffa (ebenfalls fünf), was sie in all den Jahren von Ribera gelernt haben. "Alle Kanariengelben, die es zu etwas gebracht haben, haben das ihm zu verdanken", schrieb die französische Sporttageszeitung L'Équipe. Die besten Brasilianer verdienen ja mittlerweile ihr Geld als Profis in europäischen Ligen; bei heimischen Klubs sind nur drei der 16 WM-Teilnehmer tätig.

Die Spanier waren so nervös, dass sie in der Schlussphase sogar die Siebenmeter verwarfen

Ribera kennt die Brasilianer immer noch bestens, "ich habe meine Spieler gut auf ihre Abwehr vorbereitet", fand er, "aber unsere eigene Defensive war zu schwach". Das bestätigte der fünfmalige Torschütze Alex Duschebajew: "Wir waren stark im Angriff und schwach in der Abwehr." Zeitweise führten die Brasilianer mit drei Toren Vorsprung, erst als die Spanier sich nach der Pause steigerten und keine einfachen Tore mehr zuließen, drehten sie die Partie - von 17:20 (37.) auf 21:20 (42.), danach ging es hin und her bis zum Ende. "Vielleicht haben diese paar Minuten das Spiel entschieden", sagte Ribera nachher, "trotzdem waren wir bis zum Schluss nervös." Zu erkennen war das daran, dass seine in vielen hochklassigen Begegnungen erprobten Routiniers Valero Rivera und Victor Tomas (beide 31, beide FC Barcelona) in der Schlussphase Siebenmeter verwarfen.

Die Brasilianer haderten nicht lange mit ihrer unglücklichen Niederlage. "Wir sind sehr stolz", versicherte ihr neuer Trainer Nunes, "wir haben gegen eine wunderbare Mannschaft und einen großen Freund gespielt. Jordi wird glücklich sein." Der wäre sicher glücklicher gewesen, wenn beide Mannschaften ins Viertelfinale gekommen wären. Aber das ist in einer K.o.-Runde ja nicht drin.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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