Handballer Juri Knorr:Weg vom Querkopf-Image

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Technik, taktisches Gespür, Torinstinkt: Juri Knorr soll seine bei den Rhein-Neckar Löwen erprobten Fähigkeiten auch im Nationalteam unter Beweis stellen. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Juri Knorr galt als größtes Versprechen im deutschen Handball, bis er ungeimpft die EM verpasste. Doch der Bundestrainer holt ihn zurück - in der Hoffnung, dass Knorr nun endlich explodiert.

Von Carsten Scheele, Kiel/Hannover

Juri Knorr hätte natürlich den Schutzschild hochfahren und behaupten können, dass ihn all das Gerede nicht im Geringsten tangiert habe. Die Schlagzeilen aus dem Winter, die weniger mit dem Handballer Knorr als mit dessen Impfstatus zu tun hatten, die verpasste Europameisterschaft - alles halb so wild. Knorr ist noch jung, erst 21 Jahre alt, es gibt viele, die sagen, dass ihm die Zukunft in der deutschen Handball-Nationalmannschaft gehört. Was machen da ein paar Schlagzeilen?

Doch so ist Juri Knorr nicht. Der Handballer der Rhein-Neckar Löwen ist einer, der sich eher zu viele als zu wenige Gedanken macht, und er hat in dieser Woche beschrieben, wie sehr in die vergangenen Monate mitgenommen haben. Wie er gehadert hat mit den Folgen seiner Entscheidung, sich nach überstandener Corona-Infektion im November 2020 nicht impfen zu lassen, was ihm erhebliche interne und öffentliche Kritik einbrachte und sogar dazu führte, dass er seine erste Handball-Europameisterschaft verpasste.

"Das war keine einfache Phase für mich", sagte Knorr nun. Er hat auch ein paar Artikel zu viel über sich selbst gelesen; als "Kimmich des Handballs" wurde er da tituliert, wegen des prominenten Fußballer-Nationalspielers, der ungeimpft eine ähnliche Debatte ertragen musste. "Das hat mich nicht unberührt gelassen, das gebe ich offen und ehrlich zu", sagte Knorr. Kurzzeitig wirkte es, als verpasse da einer seiner hoffnungsvollen Karriere einen gewaltigen Dämpfer.

Kurz vor der EM war Knorr plötzlich raus - und der Bundestrainer schwer verärgert

Eben war er noch der Hoffnungsträger seiner Sportart, das große Versprechen - und plötzlich der größte Querkopf des Handballs. Nach überstandener Corona-Infektion zu Beginn der Pandemie - er gehörte zu jenen Sportlern, die starke Symptome entwickelt hatten -, wollte Knorr auf eine Impfung verzichten und lieber regelmäßig seine Antikörper bestimmen lassen. Ein Sonderweg, der mit den Regularien des Europäischen Handballverbands (EHF) für die EM in Ungarn und der Slowakei nicht in Einklang zu bringen war. Zum Turnier durfte nur anreisen, wer geimpft, kürzlich genesen und zudem negativ getestet (2G+) war.

Er war also raus, und Bundestrainer Alfred Gislason schwer verärgert, weil er um Knorr herum bei der EM ein neues, junges Team aufbauen wollte. Knorr müsse sich nicht wundern, wenn sich andere Kollegen jetzt in den Vordergrund spielen, hatte der Isländer damals gegrummelt.

Doch Knorr hat seine Lehren gezogen. Schnell hat er erklärt, dass er kein Corona-Leugner sei; auch wenn sein Impfstatus weiterhin seine Privatsache ist. Dieser ist seit der Aufhebung vieler Schutzmaßnahmen im Profisport nicht mehr erheblich, so darf Knorr also mitwirken bei den entscheidenden WM-Qualifikationsspielen am Mittwoch in Kiel (18.15 Uhr/Sport1) und am Samstag in Torshavn gegen die Färöer, wenn es um die wichtige Qualifikation für die WM 2023 in Polen und Schweden geht.

Etwas überraschend wurde Knorr dabei anstelle des Magdeburgers Philipp Weber nominiert, der lange als Mittelmann Nummer eins galt, aber keine wirklich gute EM gespielt hatte. Nun soll sich Knorr gemeinsam mit dem ebenfalls noch jungen Luca Witzke, 23, dessen Aufgaben teilen. "Es geht rauf, es geht runter, dann wieder rauf", sagte Knorr über diese turbulente Karrierephase. Und wenn es nach ihm geht, folgt nun ein stabiles Hoch.

Juri Knorr hat früh von den Besten gelernt - auch beim FC Barcelona

Manch einer wartet tatsächlich darauf, dass Knorr explodiert - und raus lässt, was handballerisch in ihm steckt. Als Sohn des früheren Nationalspielers Thomas Knorr (83 Länderspiele) hat er früh von den Besten gelernt. Schon im Alter von 18 Jahren wechselte er vom Drittligisten HSG Ostsee Neustadt/Grömitz in die Reserve des FC Barcelona, wo er auch bei der Profimannschaft aushalf; nach dem Wechsel zu GWD Minden absolviert er nun seine erste Saison bei den Rhein-Neckar Löwen, wo ihn der erfahrene Schweizer Mittelmann Andy Schmid anleitet. Die Löwen spielen zwar eine enttäuschende Saison, Knorr saß in der Hinrunde viel auf der Bank, seit ein paar Wochen zeigt er aber bessere Leistungen.

Das ist auch Gislason aufgefallen. "Juri hat im Verein immer mehr seinen Platz gefunden", sagte der Bundestrainer, "ich bin gespannt, was er nun gegen die Färöer bringt." Gislason weiß natürlich: Was Technik, taktisches Gespür und Torinstinkt angeht, verfügt Knorr über alles, was er für eine Weltkarriere benötigt. Es wäre nahezu fahrlässig, künftig nicht auf Knorr zu setzen, der einer dieser kompletten Handballer ist, die eigentlich alles können - außer Torwart. Auf der Mittelposition hat man so einen in Deutschland lange nicht mehr gehabt. Der letzte war wohl Markus Baur, der Regisseur beim WM-Titel 2007.

Sind das die Fußstapfen, die Knorr zu füllen hat? Das Rüstzeug dazu bringt er mit, wenn er sich zwischenzeitlich nicht wieder selbst rausschießt. Doch Gislason ist kein nachtragender Typ. Was im Winter geschehen ist, sei längst vergessen, erklärte Gislason: "Wir werden noch lange Freude an Juri haben." Mit der kleinen Einschränkung: "Wenn alles gut läuft."

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