Handball:Mit Schwung ins Ungewisse

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Auf die Außenspieler im deutschen Team war auch beim Drei-Nationen-Turnier in Nürnberg Verlass, Marcel Schiller war mit insgesamt elf Treffern bester Schütze und überzeugte zudem als sicherer Siebenmeterwerfer. (Foto: Sascha Klahn/dpa)

Die deutsche Nationalmannschaft hinterlässt beim Drei-Nationen-Turnier in Nürnberg mit klaren Siegen gegen Brasilien und Ägypten vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen in Tokio einen hoffnungsvollen Eindruck.

Von Ralf Tögel, Nürnberg

Wollte man die Geschichte mit etwas Pathos aufladen, würde sie so beginnen: Am Mittwoch startet die deutsche Handball-Nationalmannschaft ihre Reise ins Ungewisse, um ein großes Versprechen einzulösen. Wenn um 18.15 Uhr der Flieger des deutschen Olympiateams Richtung Tokio abhebt, werden auch 17 Handball-Nationalspieler an Bord sein, um die Goldmedaille zu gewinnen. Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), hatte ja vor geraumer Zeit, als sich die deutsche Mannschaft weit entfernt jeglicher Titelchancen bewegte, dies als Ziel ausgerufen. Nun ist es mit einjähriger Verzögerung so weit: Am 24. Juli wird die DHB-Auswahl gegen Europameister Spanien ins olympische Turnier starten. Weitere Gegner sind die europäischen Spitzenteams Frankreich und Norwegen sowie Brasilien und Argentinien. Die besten Vier der Gruppe stehen im Viertelfinale, das am 3. August in Tokio stattfinden wird. Erschwert wird die Aufgabe angesichts steigender Infektionszahlen durch sich ständig ändernde Bedingungen, zuletzt wurden bekanntlich sämtliche Zuschauer von den Veranstaltungen ausgeschlossen.

Noch werde an den Feinheiten gearbeitet, sagt Bundestrainer Gislason, aber "wir haben ja noch etwas Zeit"

Trotz allem darf man den deutschen Handballern nach dem Auftritt im Drei-Nationen-Turnier am Wochenende in Nürnberg, das sie nach Siegen gegen Brasilien (36:26) und Ägypten (29:27) souverän gewannen, einiges zutrauen. "Die Abwehr war schon sehr gut, die Torhüterleistungen auch", zog Bundestrainer Alfred Gislason ein positives Fazit. Vor allem der Auftritt gegen den WM-Siebten aus Afrika, der beim Heimturnier im Januar im Viertelfinale gegen den späteren Weltmeister Dänemark erst nach Siebenmeterwerfen ausgeschieden war, sei ein positiver Fingerzeig. Dennoch gelte es an Feinheiten zu arbeiten: "Noch sind wir keine eingespielte Mannschaft, aber ich habe ja noch ein bisschen Zeit." In der ersten Halbzeit war es ein Kräftemessen auf Augenhöhe, bis Torhüter Silvio Heinevetter vor einer starken Abwehr die entscheidenden Akzente setzte.

Zur Halbzeit lagen die Gastgeber noch knapp mit 12:10 in Führung, setzten sich im zweiten Abschnitt angeführt vom bestens aufgelegten Spielmacher Philipp Weber, der mit fünf Treffern bester Torschütze war und die Nebenspieler mit sehenswerten Pässen und Finten einsetzte, bis auf 27:19 ab. Das DHB-Team zeigte eine sehr geschlossene Teamleistung, traf in der Offensive viele gute Entscheidungen und bereitete den physisch starken Ägyptern vor allem in der Defensive große Probleme.

Am Freitagabend hatte die DHB-Auswahl gegen Brasilien beim 36:26 weniger Mühe, obwohl Gislason eine Besetzung aufgeboten hatte, die so in Tokio eher selten zu sehen sein wird. Weber hatte sich im Training einen Muskel gezerrt, Gislason wollte kein Risiko eingehen und ließ dessen 21-jährigen Vertreter Juri Knorr fast durchspielen, was ihm dieser mit einer "sehr ordentlichen Leistung" dankte.

Insgesamt hinterließ die Mannschaft einen starken Eindruck, das Fehlen von Abwehrstütze Patrick Wiencek und Offensiv-Genius Fabian Wiede fiel jedenfalls nicht sonderlich auf. Nur zu Beginn hatte das DHB-Team jeweils Mühe, lag gegen Brasilien zur Pause bereits mit 17:13 vorn. Nach dem Wechsel verließen die Südamerikaner, die sich im Gegensatz zur deutschen Auswahl seit längerem in einer harten Trainingsphase befinden, die Kräfte. Die Abwehrarbeit, jene Disziplin, die auch in Tokio über Wohl und Wehe im deutschen Spiel entscheiden wird, packte sicherer zu. Jogi Bitter, der im zweiten Abschnitt im Tor stand, gab Sicherheit. Abgefangene Bälle fanden per Tempogegenstoß in hoher Prozentzahl ins brasilianische Tor, dabei taten sich einmal mehr die flinken Außenspieler um Timo Kastening, mit sieben Treffern bester Werfer, und Marcel Schiller (mit elf Treffern insgesamt) hervor. Die Idee des Testspiels gegen den späteren Gruppengegner aus Südamerika war ja, gegen eine sehr offensive Abwehr zu üben, auch die Argentinier bevorzugen diese in Europa eher ungewöhnliche Deckungsvariante.

Die Leistungen gegen Brasilien und Ägypten dürfen als positives Zeichen für Olympia gewertet werden

Das Turnier in Nürnberg wird nun als positives Signal für die kommenden Aufgaben gewertet, wie Bitter hervorhob: "Es geht schon vieles in die richtige Richtung." Dennoch müsse man sich in der finalen Vorbereitungsphase in Tokushima weiter steigern. Dorthin wird der deutsche Tross nach der Ankunft in Tokio weiterfliegen, ehe am 22. Juli der Umzug aus diesem letzten Trainingslager ins Olympische Dorf erfolgt. 15 Spieler werden dort einziehen, die beiden Ersatzkräfte logieren zwar in einem Hotel des Deutschen Olympischen Sportbundes in der Nähe, sind aber bei Trainingseinheiten dabei. Angesichts der Unwägbarkeiten vor Ort mahnt Bitter, der schon bei den Spielen 2008 in Peking dabei war, "Flexibilität im Kopf" an. Vieles werde "anders als erwartet, darauf müssen wir uns einstellen, damit wir uns ganz auf den Handball konzentrieren können".

In Nürnberg liefen die Nationalspieler mit den Namen ihrer Heimatvereine auf den Trainingsjacken auf, was sich nicht nur im Falle der HSG Schwanewede-Neuenkirchen, bei der Finn Lemke mit dem Handball begann, als große Herausforderung herausstellte - und eher einem Strichcode als einem Vereinsnamen ähnelte. Die DHB-Spieler bedankten sich zudem mit einem Transparent bei den Fans, es war ja die erste Partie seit langer Zeit, zu der 1000 Zuschauer zugelassen waren. "Wir. Von Euch. Getragen.", stand da in großen Lettern, eine Erinnerung an die Bedeutung der Basisarbeit in den Vereinen, gerade in diesen schweren Corona-Zeiten, in denen der Amateursport ein Jahr lang stillstand. In Tokio will sich das Team trotz mehr als 9000 Kilometern Abstand von den heimischen Fans inspirieren lassen, auch das jüngste olympische Turnier kann als Ansporn dienen: 2016 in Rio de Janeiro gewann Deutschland Bronze, das Gros der Spieler von Tokio stand seinerzeit schon im Kader. Eine Medaille, mit der auch Bob Hanning zum Ende seiner Amtszeit sicher zufrieden wäre.

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