Handball:Der berühmteste Handballverein ist zurück

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Zu groß für kleine Hallen: Julian Köster ist der erste deutsche Vorzeigespieler seit langem, der in Gummersbach für Furore sorgt. (Foto: Frank Kruczynski/Imago)

Die Zeiten, in denen der VfL Gummersbach große Erfolge feierte, sind lange her. Jetzt ist eine junge, hungrige Mannschaft wieder erstklassig - auch Heiner Brand ist begeistert.

Von Ulrich Hartmann

In der Pizzeria von Tino Costa war am Dienstag Ruhetag. Der Lieblingsitaliener der Handballer des VfL Gummersbach war aber als Edelfan mit dabei, als sich die Mannschaft im griechischen Restaurant "Bit Boulevard" traf. Dort hängen genauso viele Handballfotos an den Wänden wie drüben im Ristorante.

Die Handballer hatte so eine Ahnung beschlichen. Niemand hatte an diesem Abend allein daheim auf dem Sofa sitzen sollen. Beim gemeinsamen Essen schauten sie im Fernsehen Handball, und als die Partie zwischen dem TV Großwallstadt und dem Aufstiegskonkurrenten ASV Hamm-Westfalen 27:27 endete, da sprangen alle auf, tanzten durchs Lokal und zogen sich T-Shirts über, auf denen stand: "Zurück zuhause - in Zukunft erstklassig."

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Der VfL Gummersbach ist vielleicht noch immer der berühmteste deutsche Handballverein. Als nach dreijährigem Zweitliga-Intermezzo am Dienstagabend vorzeitig seine Rückkehr in die Bundesliga perfekt war, gab es im Oberbergischen Kreis östlich von Köln nur leider keinen Konfettiregen und keine Zuschauerwelle in heimischer Halle. Das holen sie am Samstag gegen Ludwigshafen nach. Vater dieses Erfolgs ist der Isländer Gudjon Valur Sigurdsson, ein Trainer, der früher als Linksaußen Olympiafinalist, Champions-League-Sieger und in fünf Ländern acht Mal Meister war, der als Coach aber noch am Anfang seiner Karriere steht. Nachdem Gummersbachs erste Zweitligasaison 2019/20 durch Corona hinfällig geworden war, trat Sigurdsson seinen Job an. Die Stadt kannte er bereits, hier hatte er von 2005 bis 2008 selbst gespielt.

Mehrfach stand Gummersbach vor dem Ruin - jetzt ist der Klub zurück in der ersten Liga

Heiner Brand, 69, Vereinsikone und Gewinner von 17 Titeln mit dem VfL Gummersbach, wohnt nur fünf Minuten von der Halle entfernt und ist auch in der zweiten Liga so oft wie möglich zu den Spielen gegangen. Er findet, dass es der junge Manager Christoph Schindler, 38, und der junge Trainer Sigurdsson, 42, richtig gut machen, und er lobt, wie sie der 99-jährigen Gummersbacher Handball-Geschichte neues Leben eingehaucht haben. Schindler hat von 2010 bis 2017 für den VfL gespielt und ist dann nahtlos ins Management gewechselt. "Er hat eine große Aufgabe übernommen", sagt Brand, "aber er macht es sehr souverän." Auch Sigurdsson zeige als Trainer eine gute Entwicklung. "Sein Handball ist attraktiv", findet Brand, "er hat dem Team ein Gesicht gegeben, und die Stimmung in der Mannschaft ist sehr gut."

Einst in den 1980ern gehörte das Stemmen von Pokalen für Erhard Wunderlich (links) und Heiner Brand noch zur Normalität. (Foto: Imago/Sven Simon)

Der sportliche Aufschwung war dringend nötig, denn die Zeiten, in denen sich dieser VfL Gummersbach seinen Namen gemacht hat, sind lange her. Zwischen 1966 und 1991 gewann der Klub zwölf Meister-, fünf Pokal- und zehn Europacup-Titel. Dann begannen in der 50 000-Einwohner-Stadt bisweilen selbstzerstörerisch anmutende Versuche, vergleichbare Erfolge in einer immer kostspieligeren Handballwelt mit riskantem finanziellen Einsatz zu erzwingen. Mehrfach stand der Klub vor dem Ruin, zuletzt 2019, als man aus der Bundesliga abstieg und als viele in Gummersbach der Ansicht waren, dies sei der letzte Sargnagel für den Gummersbacher Handball.

Der Manager Schindler, damals gerade zwei Jahre im Amt, erzählt heute, er sei nachts oft nur deshalb nicht vor Sorge aufgewacht, weil er gar nicht erst hatte einschlafen können. Warum man einem jungen Mann diesen Job aufbürdet; warum er sich so etwas selbst antut? "Weil ich diesen Verein liebe", sagt Schindler. Dies ist überhaupt der Grund dafür, warum der VfL Gummersbach noch lebt und warum er jetzt in die Bundesliga zurückkehrt, statt im Nirwana zu verschwinden. Viele haben bei der Rettung mitgeholfen, weil sie diesen Verein lieben. "Der VfL Gummersbach gehört in die Handball-Bundesliga wie Schalke 04 in die Fußball-Bundesliga", sagt die Klublegende Brand.

Schindler behauptet gar, dass der Abstieg vor drei Jahren "gut und wichtig" für den Klub war, denn anders als mit den dadurch drastisch heruntergefahrenen Erwartungen hätte man einen Neuanfang gar nicht stemmen können. Dass nun gleich alles wieder rosarot ist und man gar hehre Ambitionen ausriefe, weist Schindler weit von sich. "Wir sind weiterhin in der Konsolidierung", sagt er, "deshalb kann unser Ziel auch nur der Klassenerhalt sein."

Das Ziel lautet nun: Nicht sofort wieder absteigen

Bis 2025 hat Sigurdsson verlängert. Er wurde mit dem Ziel geholt, junge Spieler zu entwickeln. Julian Köster, 22, und die Melsunger Leihgabe Ole Pregler, 19, etwa hat der Trainer zu relevanten Faktoren im Gummersbacher Spiel geformt. "Er macht es bravourös", sagt Schindler über Sigurdsson: "Er lebt seine Siegermentalität vor und ist morgens der Erste in der Halle, nachdem er zuvor schon zehn Kilometer gelaufen oder zwei Stunden im Kraftraum gewesen war; das macht Eindruck bei den Jungs." Was Schindler noch positiv aufgefallen ist: "Goggi ist wirklich nie zufrieden."

Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass die Gummersbacher nicht mit dem euphorisierten identischen Kader in die Bundesliga gehen, sondern einen unerwartet großen Umbruch vornehmen. Mindestens sechs Spieler verlassen den Klub, darunter der Kapitän Fynn Herzig, der zum HSC Coburg wechselt und also in der zweiten Liga bleibt. Als Zugänge stehen Mittelmann Dominik Mappes vom TV Hüttenberg, Rückraumspieler Tom Jansen vom TV Großwallstadt und der slowenische Linksaußen Tilen Kodrin aus Celje fest. "Es geht immer darum, drei Schritte voraus zu denken", erklärt Schindler.

"Julian Köster und Dominik Mappes waren in dieser Saison die besten Offensivspieler der zweiten Liga", sagt Brand und freut sich schon, sie nächste Saison in der Arena am Heiner-Brand-Platz anschauen zu dürfen. "Hier in Gummersbach herrscht jetzt wieder Begeisterung", sagt er, "ich hätte nie gedacht, dass hier so etwas in der zweiten Liga möglich wäre." Einen pädagogischen Effekt sieht Brand auch: "Vielleicht haben die drei Jahre hier alle mal zum Nachdenken darüber gebracht, dass die Bundesliga keine Selbstverständlichkeit ist - und dass das oberste Ziel in der nächsten Saison sein muss, nicht gleich wieder abzusteigen."

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