Handball:Ein Hauch von Schalke

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Tief enttäuscht: die Flensburger Magnus Rød (links) und Magnus Jøndal. (Foto: Cathrin Mueller/Getty)

Nach einer verdammt harten Saison müssen die Flensburger Handballer auch noch die sehr knapp verpasste Meisterschaft verkraften.

Von Carsten Scheele

Schalke hat im Handball noch nie eine große Rolle gespielt, doch das Schalke-Gefühl aus dem Mai 2001 kennen nun auch die Spieler der SG Flensburg-Handewitt. Es war dramatische Szenen am Sonntag, wie sich die Spieler und Mitarbeiter der SG um diesen kleinen Fernseher in der Hallenecke versammelten und bangend die letzten Minuten der Partie des Rivalen THW Kiel bei den Rhein-Neckar Löwen verfolgten. Mads Mensah Larsen starrte, als hätte er einen Außerirdischen erblickt. Johannes Golla verhüllte sein Gesicht mit dem Trikot. Geschäftsführer Dierk Schmäschke ertrug die Szenerie nur im Vierfüßlerstand: auf Händen und Knien, den Kopf möglichst weit gen Fernseher gereckt, als könne er so früher erblicken, was in der anderen Halle passiert.

Schalke erlitt 2001 bei der "Vier-Minuten-Meisterschaft" ein sehr spätes Tor des FC Bayern in Hamburg, das alles kaputt machte. Die Flensburger hätten sich ein Tor gewünscht, das nicht mehr fiel. Beim Stand von 25:25 hatten die Rhein-Neckar Löwen noch 45 Sekunden für den letzten Angriff, Kiel spielte nur noch in Unterzahl, ein weiterer Treffer hätte dem THW die Niederlage und den Flensburgern die Meisterschaft eingebracht.

Doch der letzte Wurf des Schweizers Andy Schmid rauschte um wenige Zentimeter am Kieler Torpfosten vorbei. Zack, der Traum war vorbei. Über die Flensburger Halle legte sich Stille.

Die Flensburger haben es auch selbst verbockt, mit der Heimniederlage gegen die Füchse Berlin

"Wir haben mit großer Hoffnung auf den Fernseher geschaut", berichtete Spielmacher Jim Gottfridsson, einer der überragenden Handballer dieser Saison: "Am Ende stehen wir trotz einer tollen Saison mit leeren Händen da. Das tut echt weh." Auch Kapitän Lasse Svan konstatierte: "Es tut weh, weil es so knapp war. Wir hatten definitiv kein Glück in dieser Saison."

Kann man so sagen: Es wurde nur Tabellenplatz zwei, weil Kiel am Ende einer ultralangen Spielzeit mit 38 Ligaspielen, Quarantänen und 41 Spielverlegungen im direkten Vergleich um fünf Tore vorne liegt. Das muss man erstmal verkraften.

Das Drama war deshalb so groß, weil die Flensburger ja dachten, dass sie es längst verbockt hatten. Zehn Tage zuvor mit der Heimniederlage gegen die Füchse Berlin, als Kiel in der Tabelle vorbeiziehen konnte. Dass es am letzten Spieltag noch einmal so knapp werden würde, hatte niemand für möglich gehalten - und vergrößerte den Schmerz nur noch mehr. Die Flensburger schickten natürlich trotzdem Gratulationsgrüße an den Nachbarn aus Kiel, mit dem man zwar eine sportliche Rivalität, aber auch ein gesundes Miteinander pflegt. "Wer am Ende dieser verrückten Saison oben steht, hat es auch verdient", sagte Flensburgs Trainer Maik Machulla, ebenfalls tief berührt von diesem Finale. Als er gefragt wurde, was er seiner traurigen Mannschaft in der Kabine gesagt habe, antwortete Machulla: "Ich weiß gar nicht, ob die mich verstanden haben, weil ich viel geweint habe."

Machulla hat zuletzt immer wieder auf die außerordentliche Leistung seiner Mannschaft hingewiesen: Die sich in dieser besonders harten Corona-Saison durch alle Widerstände gekämpft hat, Quarantänen hinter sich gebracht hat und anschließend gefühlt alle zwei Tage auf die Platte musste. Doch die Kräfte wurden immer weniger, Flensburg hat seine Partien teilweise mit acht Feldspielern absolviert - wer nicht verletzt war, schleppte sich humpelnd (wie Regisseur Gottfridsson) oder anderweitig angeschlagen aufs Feld. Und dennoch konnte die SG dem THW Kiel bis in die letzten Sekunden der Saison einen harten Kampf liefern. "Ich weiß nicht, wie lange ich noch Trainer sein werde", sagte Machulla, "aber eine Mannschaft mit so viel Mentalität und Moral werde ich wohl nie wieder trainieren." Für ihn ganz persönlich fühle sich der zweite Platz deshalb "an wie eine Meisterschaft". In der harten Realität ist es aber bloß der 14. Vizetitel für Flensburg.

Auch Kiel hatte am Ende auf der berüchtigten letzten Rille gekämpft, Kreisläufer Patrick Wiencek etwa hatte sich in Mannheim trotz seiner Wadenverletzung aufs Feld geschleppt und mitgeholfen, den Meistertitel von 2020 (damals nach dem Saisonabbruch) zu verteidigen. Olympia wird Wiencek nun auslassen, es geht nicht mehr.

Und während die Kieler mit Meistertitel Nummer 22 im Gepäck nach ihrer Landung auf dem Flughafen Kiel-Holtenau auf eine Schifffahrt gingen, mit der "MS Düsternbrook" vom Marinehafen in Wik die Kiellinie entlang, vorbei an tausenden winkenden Fans, blieb Flensburgs Trainer nur, einen Wunsch zu äußern. "Eine solche Saison mit Spielabsagen und Quarantäne möchte ich nie wieder erleben", sagte Maik Machulla. Es war ein Satz, den alle Handballer von Flensburg über Kiel bis runter nach Balingen und Stuttgart unterschreiben dürften.

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