Handball-EM:Pionierinnen an der Pfeife

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Bei der Handball-Weltmeisterschaft 2017 gelang den Zwillingen Charlotte Bonaventura und Julie Bonaventura der internationale Durchbruch als Schiedsrichterinnen. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Die Zwillinge Julie und Charlotte Bonaventura gehören zu den ganz wenigen weiblichen Schiedsrichter-Duos im internationalen Handball. Der Weg dorthin war lang - und hat ihnen ein paar wichtige Erkenntnisse beschert.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

An erstaunte Blicke haben sie sich über all die Jahre gewöhnt. Julie und Charlotte Bonaventura gehören zu den besten Schiedsrichter-Duos im Handball, deswegen pfeifen sie gerade bei der Europameisterschaft in Deutschland - doch als Frauen gehören sie immer noch zu einer Minderheit in ihrem Sport. 18 Paare wurden für die EM nominiert, nur zwei davon sind weiblich. Wobei, eigentlich müsste es "sogar" heißen: So viele waren es vorher bei einer Männer-EM noch nie. "Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Julie Bonaventura in Hamburg, dort werden die beiden in der Hauptrunde des Turniers eingesetzt.

So mancher Handballer überragt die Zwillinge um vierzig Zentimeter, aber die Frauen haben die Spieler im Griff. Und sind souverän bei Diskussionen, wenn es eng zur Sache geht. Seit mehr als zwanzig Jahren sind die Französinnen schon Schiedsrichterinnen, der große Schub im Männerhandball kam mit der Weltmeisterschaft 2017, da waren sie die ersten Frauen, die auf internationalem Top-Niveau bei einem Männer-Turnier zum Zug kamen. "Unser Weg war lang, und wir wissen, dass wir viel mehr leisten mussten als viele männliche Referees", sagt Julie Bonaventura. Die Situation sei vergleichbar mit anderen Bereichen in der Gesellschaft, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, sagt Charlotte. Beklagen wollen sie sich trotzdem nicht, sondern anderen Frauen Mut machen. "Sie dürfen nicht schüchtern sein und sagen: Ich traue mich nicht. Wenn du gut bist, mach dein Ding."

"Frauenspiele sind schwieriger zu pfeifen."

Die 43-Jährigen haben es sich nicht ausgesucht, Pionierinnen zu sein, sie teilen aber gerne ihre Erfahrungen und Anekdoten: 2012 in Marokko zum Beispiel, da pfiffen die Schwestern bei der Afrikameisterschaft der Männer ein Halbfinale und sie spürten schon beim Einlaufen, dass das für alle Beteiligten eine besondere Situation war. "Wir haben gemerkt, dass uns die Leute komisch angeguckt und überlegt haben: Eine Frau hier als Schiedsrichter?", sagt Julie Bonaventura. "Aber nach ein paar Minuten war es ganz normal, niemand hat sich beschwert. Und nach dem Spiel wollte jeder ein Foto mit uns machen. Das war dann sehr positiv." Mit Anfeindungen haben sie bisher kaum Erfahrungen gemacht, es sind eher Situationen, in denen sie merken, dass das Umdenken immer noch stattfinden muss: Wenn sie zum Pfeifen in der französischen Liga etwa zur Halle kommen und die Männer ihnen sagen: "Sorry Mädels, das Frauen-Spiel findet nebenan statt." Ihre Reaktion lautet dann: "Nein, wir sind hier ganz richtig."

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An den Tagen, an denen sie bei der EM nicht pfeifen, halten sich die Bonaventuras mit Training fit, sie müssen ja auch körperlich mithalten können. Das ist bei Männerspielen herausfordernder. Aber: "Frauenspiele sind schwieriger zu pfeifen als Männerspiele", sagt Julie Bonaventura. Diese spielten härter und dementsprechend müssten mehr Regelverstöße geahndet werden. Da ist viel Abstimmung zwischen den Schiedsrichter-Paaren gefragt - und viel Vertrauen. Dass sie eineiige Zwillinge sind, kommt den Bonaventuras dabei entgegen. "Wir kennen uns so gut, wir müssen manchmal gar nichts sagen, sondern wissen schon mit einem Blick, was der andere denkt und was er für die richtige Entscheidung hält. Das macht die Spiele flüssiger", sagt Charlotte Bonaventura.

Für die Turniere müssen sie extra Urlaub nehmen

Am Dienstagabend pfeifen die beiden mit dem Duell zwischen Norwegen und Schweden ihr fünftes Spiel bei dieser EM, das deutsche Duo Maike Merz und Tanja Kuttler war in der Vorrunde im Einsatz. Nach dem Turnier geht es für die Bonaventuras in ihr normales Leben in Südfrankreich zurück. "Viele denken, dass wir das hauptberuflich machen, aber wir müssen für die Turniere Urlaub nehmen", sagt Julie Bonaventura. Sie hat Mathematik studiert und zuletzt Websites entwickelt, Charlotte arbeitet im Gesundheitssystem. "Handball ist für uns ein wichtiger Ausgleich zum normalen Leben", sagen beide. Und, auch das: Eigentlich seien sie sehr schüchterne Personen. Ihren Weg nach ganz oben sind sie trotzdem gegangen.

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