Handball-EM:Fiasko für die Experten

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Nicht zu stoppen: Die Franzosen (hier Adrien Dipanda und Nedim Remili) bekamen den Norweger Sander Sagosen nie in den Griff. (Foto: Robert Michael/dpa)

Frankreich scheitert und muss sich erneuern. Auf eines kann sich der Rekordweltmeister verlassen: Starke Talente drängen nach.

Von Joachim Mölter, Trondheim

Es gibt Ehrungen und Auszeichnungen, auf die man gern verzichten möchte, aber nicht kann, weil gerade 9000 Menschen in einer vollbesetzten Arena erwartungsvoll auf einen schauen. Also nahm der französische Handballer Ludovic Fabregas am Sonntagabend nach der EM-Vorrundenduell gegen Norwegen mit einem gequälten Lächeln jenen Preis entgegen, der dem jeweils "besten Spieler der Partie" überreicht wird. Der 23 Jahre alte Kreisläufer hatte zwar acht Tore für seine Mannschaft erzielt, aber die hatte leider verloren, 26:28. Und das bedeutete schon nach dem zweiten Gruppenspiel das EM-Aus für die Franzosen. In ihrem Auftaktspiel waren sie den Portugiesen 25:28 unterlegen gewesen.

Während die Außenseiter nun den Mitfavoriten Norwegen in die Hauptrunde nach Malmö begleiten, konnten die Franzosen schon vor ihrem letzten Gruppenspiel gegen Bosnien-Herzegowina an diesem Dienstag den Heimflug buchen. "Zwei Spiele und es ist vorbei - das habe ich noch nie erlebt", sagte Frankreichs Rechtsaußen Valentin Porte, 29, fassungslos. Die Sportzeitung L'Équipe schrieb von einem "Fiasko".

Der Rekordweltmeister Frankreich wird tatsächlich erst zum zweiten Mal seit 30 Jahren bei einer internationalen Meisterschaft wie Olympia, WM oder EM nicht wenigstens unter den ersten Acht landen. Das erste Mal war vor acht Jahren gewesen, bei der EM in Serbien. Da wurden die Franzosen Elfte, hatten aber gerade den Grand-Slam-Gewinn des Handballs hinter sich - Olympiasieg 2008, WM-Triumphe 2009 und 2011 sowie EM-Erfolg 2010. Und wie sich später herausstellte, atmeten sie nur kurz durch vor ihrem nächsten Triple: Nachdem sie im Sommer 2012 ihr zweites Olympia-Gold und dann auch noch bei der EM 2014 und der WM 2015 die Titel geholt hatten, waren erneut alle wichtigen Trophäen des Handballs in ihrem Besitz.

Nicht zu stoppen: Die Franzosen (hier Adrien Dipanda und Nedim Remili) bekamen den Norweger Sander Sagosen nie in den Griff. (Foto: Robert Michael/dpa)

Womöglich waren Frankreichs Handballer einfach erfolgsverwöhnt, vermutete ihr Flügelspieler Luc Abalo. "Wir werden jetzt sicher etwas demütiger sein", sagte der 35-Jährige am Sonntag: "Vielleicht hat uns das gefehlt vor diesem Turnier."

Es führte ja niemand das EM-Aus auf die Niederlage gegen Norwegen zurück - gegen den WM-Zweiten kann man ja schon mal verlieren, zumal in dessen Heimat. "Wir haben es im Grunde gegen Portugal verloren", fand Nikola Karabatic, der langjährige Antreiber der Mannschaft. "Das war das Spiel, das wir nicht verlieren durften", stimmte Abalo zu.

Dabei hätten die Franzosen gewarnt sein müssen: Bereits in der EM-Qualifikation waren sie den Portugiesen einmal unterlegen. Umso erstaunlicher, wie wenig den Experten, "Les Experts", wie diese Generation des französischen Handballs genannt wird, nun bei der Endrunde gegen den selben Gegner einfiel. "Unser Spiel hat sich in den vergangenen Jahren nicht weiterentwickelt", kritisierte Jérôme Fernandez, mit 1463 Treffern Rekordtorschütze der Équipe tricolore, in L'Équipe. "Wir haben hier gesehen, dass wir hinter einigen Teams zurückliegen", pflichtete Valentin Prote bei. Fernandez' einstiger Mitspieler Didier Dinart, früher Abwehrchef, heute Nationaltrainer, räumte zwar ein: "Vielleicht sind wir gerade nicht auf einem besseren Niveau." Von einer tiefgreifenden Krise wollte der 42-Jährige aber nichts wissen, schon gar nicht vom "Ende einer Epoche", wie die Tageszeitung Le Parisien titelte.

Die alten Franzosen sind ja schon oft abgeschrieben, totgesagt und beerdigt worden, aber wie Zombies sind sie immer wieder auferstanden vom Friedhof der Sport-Heroen und haben weiter Furcht und Schrecken verbreitet. Immer wieder haben sie geschafft, sich zu verjüngen und zu erneuern, und der aktuelle Kader lässt vermuten, dass es ihnen erneut gelingt. Zwar nähert sich das Karriereende von Karabatic, Abalo, Kapitän Cedric Sorhaindo, alle 35, und vor allem Linksaußen Michael Guigou, 37. Aber es sind Talente nachgerückt, außer Fabregas noch die Rückraumspieler Nedim Remili, 24, Romain Lagarde und Dika Mem, beide 22, sowie zuletzt Elohim Prandi und Adrien Dipanda, beide 21. Der Altersdurchschnitt der Franzosen liegt bei 27,6 Jahren und damit deutlich unter dem von Titelverteidiger Spanien (30,6) oder Weltmeister Dänemark (29,8). Selbst die deutsche Auswahl ist älter (27,9).

Zwar sprach auch Nikola Karabatic am Sonntag von einem "riesigen Rückschlag", aber mehr ist das EM-Aus dann auch nicht. In Jahren mit Olympischen Spielen wie diesem war die EM für die Franzosen stets nachrangig; ihre drei Titel gewannen sie immer in den Zwischenjahren (2006, 2010, 2014). "Wichtig ist jetzt, mit welchem Fokus wir beim Qualifikationsturnier für Olympia arbeiten werden, was wir aus dieser misslungenen EM lernen", blickte der dreimalige Welthandballer Karabatic schon voraus. Abalo sagte: "Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen. Wir müssen sehen, wie wir reagieren." Auch Valentin Porte relativierte das Ausscheiden schnell: "Ich bin vor allem traurig für diejenigen, die angekündigt haben, dass sie zum letzten Mal bei einer EM spielen." Für die war es in der Tat kein schöner Abschied.

© SZ vom 14.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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