Handball:Die spinnen, die Kieler

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Außer sich vor Freude: Kiels Torwart Samir Bellahcene (Mitte) freute sich, nachdem seinem Team das eigentlich Unmögliche gelungen war. (Foto: Marcel von Fehrn/Eibner/Imago)

Neun Tore Rückstand nach dem Hinspiel? Macht doch nix! Der THW Kiel dreht das Champions-League-Duell mit Montpellier auf wundersame Weise - und kann die missratene Saison vielleicht noch retten.

Von Carsten Scheele

Wie unterschiedlich können Sportler im größten Jubelmoment reagieren? Am Donnerstagabend gegen 20.30 Uhr tollten die meisten Angestellten des THW Kiel besinnungslos vor Freude und unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte durch die Halle, aufgepeitscht von den Fans auf den Tribünen. Zwei Große des europäischen Klubhandballs hingegen sanken am eigenen Neun-Meter-Kreis leise zu Boden: Auf Knien hockten Mittelmann Domagoj Duvnjak und Linksaußen Rune Dahmke dicht an dicht, Duvnjak klebten die Haare auf der Stirn, Dahmke vergrub sein Gesicht im Trikot des Kroaten. Beide hielten sich einfach nur fest.

Mit dem Begriff des "Wunders" sollte man im Sport vorsichtig hantieren, aber eine Überraschung wundersamen Ausmaßes bot dieses Spiel definitiv. Mit neun Toren hatte der THW Kiel im Europapokalduell mit dem französischen Klub Montpellier HB zurückgelegen, das 30:39 aus dem Hinspiel war eine berghohe Hypothek, die im Viertelfinale eines Wettbewerbs namens Champions League eigentlich kaum aufzuholen ist. "Tiefer als nach dem Hinspiel waren wir in der ganzen Saison noch nicht", erinnerte sich Dahmke an die deprimierende Pleite in der Vorwoche.

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Doch mit jeder Minute, die im Rückspiel verging, wuchs der Glaube an das Unmögliche. Ein Sieg mit zehn Toren Vorsprung musste her, zur Halbzeit war die Hälfte geschafft (17:12), der Abstand wuchs, auf sechs Tore, sieben, acht. Vier Minuten vor Schluss haute Mykola Bilyk den Ball zur ersten Neun-Tore-Führung ins Netz. Und 150 Sekunden vor Schluss erzielte der Schwede Eric Johansson die ersehnte Zehn-Tore-Führung zum 31:21, die die Kieler anschließend unter großer Leidenschaft verteidigten. Zweimal warfen die Franzosen noch, zweimal parierte der starke Tomas Mrkva im THW-Tor. Dann sanken Duvnjak und Dahmke auf die Knie.

Auch der SC Magdeburg hat das Final Four erreicht - schon im Halbfinale wäre ein deutsches Duell möglich

"Dieser Sport ist krank", sagte Dahmke hernach, "das zeigt, was alles passieren kann. Nichts ist unmöglich." Trainer Filip Jicha sprach von einer "magischen Nacht", die den THW nun unverhofft doch noch ins Final Four am 8. und 9. Juni in Köln geführt hat. Und Duvnjak erklärte, wie das Team an diesem großen Handballabend mental vorgegangen war. Das Ziel sei gewesen, die Partie gedanklich in Abschnitte von zwölf Minuten zu unterteilen und jeden Abschnitt "mit zwei Toren zu gewinnen". Dies hätte zwar nicht exakt funktioniert, erklärte Duvnjak: "Aber mental hat es geholfen, von Schritt zu Schritt zu denken." Am Ende waren es tatsächlich zehn Tore Vorsprung nach 60 Minuten. Frei nach Asterix: Die spinnen, die Kieler!

Die Saison des deutschen Rekordmeisters ist ansonsten ja eine recht missratene Angelegenheit: Die Titelverteidigung in der Meisterschaft ist längst nicht mehr möglich, viel zu groß ist der Rückstand bereits, im Pokal sind die Kieler ebenfalls raus. Die Finalrunde im höchsten europäischen Wettbewerb ist somit die letzte Chance, einen Titel zu gewinnen, es wäre ein mehr als versöhnliches Ende. In Köln aber kommt es im Juni zum Aufeinandertreffen mit drei anderen kontinentalen Schwergewichten: dem FC Barcelona, dem dänischen Spitzenklub Aalborg Handbold und dem Bundesliga-Konkurrenten SC Magdeburg. Ein deutsches Duell wäre schon im Halbfinale möglich.

Die Magdeburger hatten in ihrem Viertelfinale ebenfalls nicht an Dramatik gespart, den polnischen Klub KS Kielce erst im Siebenmeterwerfen bezwungen. Was allerdings einen offiziellen Protest nach sich zog, weil die Polen gegen die letzte Aktion der regulären Spielzeit protestierten, als die Zeit von den Schiedsrichtern nicht angehalten wurde, was aus Sicht von Kielce einen Nachteil darstellte. In der Regel hat ein solcher Protest aber wenig Aussicht auf Erfolg.

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