Handball:Blauer Boden der Tatsachen

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Coburg stehen in der zweiten Handball-Bundesliga zwei Derbys bevor. Es ist der Beginn eines Endspurts um den Aufstieg - doch ist das Team bereit für die erste Liga?

Von Sebastian Leisgang

Vergangene Woche haben sie in Coburg mal wieder den blauen Boden hervorgekramt und in ihrer Halle verlegt. Die Verantwortlichen des HSC hielten es für eine gute Idee, dass die Mannschaft am vergangenen Samstag gegen den VfL Lübeck-Schwartau und am kommenden Sonntag gegen die Rimpar Wölfe auf dem Untergrund vergangener Bundesligatage spielt. Gegen Lübeck-Schwartau ging es zwar schon mal schief, Coburg verlor 23:28 (11:16); die Niederlage aber bloß auf das Geläuf zu schieben, das würde dem Spiel nicht gerecht werden.

Gorr hat die Ausrichtung des gesamten Klubs hinterfragt, einen Paradigmenwechsel eingeleitet

Coburg steht momentan auf dem zweiten Platz der zweiten Handball-Bundesliga und hat, acht Spiele vor dem Ende der Saison, die Rückkehr in die höchste Spielklasse vor Augen. Im Moment des Erfolgs neigt der Mensch zwar dazu, großkotzig zu werden, doch hier liegen die Dinge anders. Auf dem blauen Boden wird für gewöhnlich nur in der Bundesliga gespielt, im Coburger Fall spricht aus ihm aber weder Hybris noch Nostalgie. "Wenn der Boden so lange gelagert wird", erklärt Trainer Jan Gorr, "muss man prüfen, ob er noch in Schuss ist." Und wenn man den blauen Boden in der nächsten Saison häufiger brauchen sollte, weil man dann unter Umständen nicht mehr gegen Lübeck-Schwartau und Rimpar, sondern gegen die SG Flensburg-Handewitt und den THW Kiel spielt, dann kann es ja nicht schaden, jetzt schon mal zu wissen, dass der Boden durchaus noch brauchbar ist.

Trotzdem sind sie sich in Coburg noch nicht sicher, ob sie den blauen Boden bald für längere Zeit auslegen müssen. Das jüngste Spiel hat Zweifel gesät, ob die Mannschaft denn überhaupt bereit wäre, es in ein paar Monaten mit Flensburg-Handewitt und Kiel aufzunehmen. "Uns fehlt ein Stück weit Raffinesse und Cleverness", findet Gorr. Er weiß: "Diese Eigenschaften braucht man aber, wenn man vorne stehen will." Seit Anfang September belegen die Oberfranken zwar einen der ersten beiden Tabellenplätze, doch erst jetzt, auf der Zielgeraden der Saison, wird sich weisen, ob das Team tatsächlich das Zeug für die Bundesliga mitbringt.

Es gibt Trainer, denen Ergebnisse ins Gesicht geschrieben stehen. Dann lässt sich beim bloßen Anblick erkennen, was das Spiel mit ihnen machen kann. Gorr, 41, ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten Trainer. Er hat gute und schlechte Tage mitgemacht, er hat mit dem TV Hüttenberg und Coburg einen Auf- und einen Abstieg erlebt, und doch hat er sich in all der Zeit stets ein freundliches, jugendliches Gesicht bewahrt, in dem sich selten etwas lesen lässt. Seit knapp sechs Jahren arbeitet er in Coburg. Er ist keiner dieser Trainer, die heute hier und morgen da sind. Gorr spricht gerne von Etappen und Projekten; ihm ist daran gelegen, etwas aufzubauen und zu entwickeln. Wenn es dem HSC also gelingen sollte, schon bald Wochenende für Wochenende auf blauem Boden zu spielen, wäre das auch seine Errungenschaft.

Nach dem Abstieg vor knapp zwei Jahren hat Gorr die Rückkehr in die Bundesliga von langer Hand geplant. Er hat die Ausrichtung des gesamten Klubs hinterfragt, einen Paradigmenwechsel eingeleitet und in dieser Saison eine Mannschaft geformt, die nun wieder an der Schwelle zur höchsten Spielklasse steht. "Aber man muss den Tatsachen ins Auge schauen", sagt Gorr, "am Ende werden nur die beiden aufsteigen, die es über 38 Spiele am besten gemacht haben." Und diese beiden könnten auch Balingen-Weilstetten und Nordhorn-Lingen heißen. Was also, wenn es doch schiefgeht? Wenn Coburg am Ende nur Dritter wird? "Dann", entgegnet Gorr, "werden wir trotzdem weiter Handball spielen."

"Knifflige Aufgaben": Am Wochenende stehen Derbys gegen Großwallstadt und Rimpar an

Noch stehen acht Partien aus, und schon am Wochenende kommen, sagt Gorr, "zwei richtig knifflige Aufgaben" auf Coburg zu: Am Freitag tritt seine Mannschaft zum ersten Frankenderby in Großwallstadt an, am Sonntag geht es im zweiten gegen Rimpar. Da Nordhorn-Lingen nur einen Zähler zurückliegt, darf sich Coburg keinen Punktverlust erlauben.

"Diese Spiele haben eine besondere Brisanz", sagt Gorr über die beiden Derbys, wohlwissend, dass sich schon Großwallstadt als Stolperstein erweisen könnte - auch wenn der TVG seit Saisonbeginn in den Abstiegskampf verwickelt ist und bereits drei Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz hat. Zu Hause hat Großwallstadt in der Vorrunde gegen Nordhorn-Lingen unentschieden gespielt, gegen den TuSEM Essen gar gewonnen. Coburg sollte also auf der Hut sein. Die Ausgangsposition ist dennoch klar: Der HSC muss gewinnen - zumindest, wenn er bald wieder auf blauem Boden spielen will.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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