Handball:Auf Besserung hoffen

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Überspielt: Kiels Regisseur Domagoj Duvnjak (rechts) kann sich nicht gegen Barcelonas Raúl Entrerríos durchsetzen. (Foto: Toni Albir/dpa)

Rekordmeister THW Kiel verabschiedet sich so früh wie lange nicht mehr aus dem Titelrennen - die Abhängigkeit vom Regisseur ist zu groß.

Von Jörg Marwedel, Kiel/Hamburg

Die Krücken, die der damals frisch am Knie operierte Handball-Trainer Alfred Gislason vor zehn Tagen beim denkwürdigen 21:24 des THW Kiel gegen den dänischen Außenseiter HC Silkeborg in der Champions League wütend hingeworfen hatte, ruhen inzwischen wieder im Schrank. Und ein kleiner Aufschwung war beim 27:27 gegen den siebenmaligen Champions-League-Sieger FC Barcelona am Sonntag auch zu beobachten, wie auch Alfred Gislason feststellte: "Es war wichtig, dass meine Mannschaft 60 Minuten konzentriert war und an sich geglaubt hat", sagte der THW-Trainer.

Dennoch ist das Bundesligatreffen zwischen dem Rekordmeister THW Kiel (20 Titel) und dessen inzwischen gegen den Abstieg spielenden Vorgänger VfL Gummersbach (zwölf Meisterschaften) am Mittwoch mehr etwas für Nostalgiker. Natürlich werden die 10 285 Plätze in der Kieler Arena wieder alle besetzt sein. Doch für den THW geht es nicht mehr ernsthaft um die Meisterschaft - erstmals seit vielen Jahren.

Trainer Gislason sagt, das sei sein letzter kompletter Neuaufbau beim THW

Der Abwärtstrend des THW hatte zuletzt fast dramatische Züge angenommen: sechs Niederlagen in 13 Champions- League-Spielen; Bundesliga-Niederlagen in Flensburg und beim SC Magdeburg, welche die Kieler nun fünf Punkte hinter Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt herhecheln lassen. Einige Anhänger im verwöhnten Publikum rufen schon: "Alfred raus!" Und das über einen Trainer, der in acht Jahren sechs deutsche Meisterschaften, viermal den DHB-Pokal und zweimal die Champions League gewonnen hat. Als der 57-Jährige kürzlich in einem Interview mit den Kieler Nachrichten sagte, es sei "garantiert mein letzter kompletter Neuaufbau in diesem Verein", sagten ihm einige nach, ihm fehle das Feuer, den bis 2019 gültigen Vertrag noch zu erfüllen.

So weit ist es noch nicht. Aber das Jahr 2012, als der THW Champions-League-Sieger wurde und mit der maximaler Ausbeute von 68:0 Punkten durch die Liga galoppierte, wirkt heute wie ein Märchen. Das Argument von Manager Thorsten Storm und Gislason, sie hätten eine sehr junge Mannschaft, greift nicht wirklich. Die Torhüter Niklas Landin und Andreas Wolff sind unbestritten Weltklasse, die erfahrenen Leute davor wie die Kreisläufer Patrick Wiencek und René Toft Hansen nicht viel schwächer. Auch der Aufbau hat internationale Klasse, selbst ohne den verletzten Steffen Weinhold. Das Problem: Regisseur Domagoj Duvnjak ist überspielt. "Wir sind zu abhängig von Dule", sagt Toft Hansen. Trainer Gislason muss aufpassen, dass er Duvnjak nicht so verschleißt wie einst den THW-Kapitän Filip Jicha, dem er auch kaum Pausen gönnte und der letztlich auch aus gesundheitlichen Gründen nach Barcelona flüchtete.

Was die jungen Leute angeht: Die Alternativen für den Kroaten Duvnjak - Nikola Bilyk und Lukas Nilsson - sind große Talente, aber noch zu unbeständig. Gegen Barcelona, als Bilyk in letzter Sekunde den Ausgleich warf, haben beide mal wieder angedeutet, was aus ihnen werden könnte. "Sie sind erst 20, das dürfen die Leute bitte nicht vergessen", sagte Duvnjak. Die größte Schwäche im derzeitigen Team ist das Zusammenspiel im Angriff. Das wiederum hat vor allem mit den Außenspielern zu tun, besonders auf der linken Seite. Dort treffen die ebenfalls noch vergleichsweise jungen Rune Dahmke, 23, und Raul Santos, 24, zu oft die falsche Wahl, auch wenn sie schon Nationalspieler sind, Dahmke für Deutschland, Santos für Österreich.

Völlig verhunzt ist die Saison für die Kieler noch nicht: Sie stehen immerhin in der Pokal-Endrunde

In vielen Spielen "haben wir fünf Minuten, in denen wir dumme Entscheidungen treffen", sagt Gislason. Nationalspieler Christian Dissinger beklagt, es gäbe keinen Plan B, wenn Duvnjak mit seiner Power und seinem Spielwitz ausfalle. Die Kieler hoffen also auf baldige Fortschritte von Bilyk und Nilsson. Auch wenn sie sich nicht mehr die teuersten Stars leisten können - deutlich gehobene Klasse können sie noch immer verpflichten. Vermutlich wird schon in der nächsten Saison der Europameister Hendrik Pekeler von den Rhein Neckar Löwen zum THW stoßen, aus Erlangen kommt Rechtsaußen Ole Rahmel, der seine Wurzeln im Norden hat und Christian Sprenger, 33, ersetzen wird, der wohl andere Aufgaben im Verein übernimmt.

Doch noch ist diese nicht gerade perfekte Saison nicht völlig verhunzt für die Kieler. Sie müssen noch um Rang zwei in der Bundesliga kämpfen, damit sie nicht auf eine Wild Card für die Champions League angewiesen sind. Sie haben trotz vieler missratener Partien das Achtelfinale erreicht. Und wenn alles gut geht, ist am Ende vielleicht sogar doch noch ein Titel drin: Denn im DHB-Pokal haben sie das Final Four erreicht, mal wieder.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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