Hamburger SV:Zurück im Traditionstheater

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Geht das Ärgern schon wieder los: Hamburgs Zugang Sejad Salihovic reagiert auf die fatale Abwehrschwäche seines Teams in Leverkusen. (Foto: Marius Becker/dpa)

Keine Sorge, es ist alles wie immer: Der gut gestartete HSV hat wieder schwarze Löcher in der Abwehr und ist nach sechs Spielen da angekommen, wo er sich selbst erwartet hat - im Abstiegskampf.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Vor ein paar Wochen stand der Hamburger SV für eine Nacht auf dem ersten Tabellenplatz, er hatte außer der ersten auch die zweite Partie der Saison gewonnen, und das Land begann sich besorgt zu fragen, ob es wohl eine Programmänderung im Spielplan der Bundesliga geben werde. Würde man diesmal ohne die liebgewonnenen Katastrophenmeldungen aus dem schrägsten Traditionstheater der Fußballrepublik auskommen müssen?

Mancher Voyeur mag daher aufgeatmet haben, als er die erste Hälfte der Begegnung des HSV mit Bayer Leverkusen gesehen hat, denn darin fanden sich wieder einige Szenen mit dieser speziellen Hamburger Note: Wie zum Beispiel die HSV-Abwehr den neuen Leverkusener Torjäger Lucas Alario ignorierte, als er mit viel Anlauf in den Strafraum rannte und frei wie ein Vogel das Tor zum frühzeitig spielentscheidenden 2:0 schoss - das muss der Abwehr erst mal einer nachmachen. Und wie es Luca Waldschmidt später schaffte, aus 18 Metern Entfernung 20 Meter über das Tor zu schießen, das war auch ein echtes Kunststück. Nicht weniger sehenswert: Die Wutausbrüche, die Verteidiger Kyriakos Papadopoulos und Torwart Christian Mathenia im Angesicht riesiger schwarzer Löcher in der HSV-Deckung bekamen.

Hamburger Anhänger hatten darauf naturgemäß eine andere Sichtweise, aber auch sie werden vermutlich die Gedanken über ihren Lieblingsklub aufs Neue sortiert haben. Es ist weniger das Resultat - dieses 0:3 bei Bayer Leverkusen -, das ihnen dazu Anlass gibt, als dessen Zustandekommen. Die Spieler des Hamburger SV haben sich bis zum Schlusspfiff zwar vorbildlich eingesetzt und sind vor keinem Zweikampf geflohen, ihr Pflichtbewusstsein war immer tadellos; aber was eindeutig fehlte, das war der Mehrwert all der lobenswerten Anstrengungen: Spielerisch ist daraus nichts entsprungen, von konzertierten Angriffszügen oder herauskombinierten Torchancen ganz zu schweigen. Torwart Mathenia stellte deshalb nach dem Auftritt ganz grundsätzliche Schlussfolgerungen an: "Das Profigeschäft hat auch Schattenseiten", sagte er.

Der ehemalige Tabellenführer HSV ist nun wieder dort, wo er nicht mehr hinwollte, wo er aber nach Auffassung maßgebender Beteiligter nicht fehl am Platz ist. Ob das jetzt wieder Abstiegskampf sei, wurde Abwehrspieler Mergim Mavraj gefragt, und der erfahrene Profi war deswegen nicht beleidigt, sondern gab dem Verdacht statt: "Ich war nicht so vermessen, vor der Saison von irgendetwas anderem zu reden. Das war zu erwarten." Der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen sieht durch die Situation des HSV sein Bild der Liga bestätigt, in dem die Kleinen immer kleiner und die Großen immer größer werden: Im "permanenten Behauptungskampf" sei es "für viele Vereine eine spannende Frage, wer am Ende 18., 17. oder 16. wird", erklärte er, und Bayer Leverkusen sei für den Hamburger SV "eine Nummer zu groß". Dem Sportdirektor Jens Todt kamen sogar bereits jene Parolen in den Sinn, die für die fortgeschrittene Schlussphase der Saison vorgesehen sind ("wir dürfen den Glauben an uns nicht verlieren").

Begleitet von diesen trübseligen Anmerkungen beging der Trainer Markus Gisdol am Wochenende sein Dienstjubiläum, just vor einem Jahr hat er die Arbeit in der Hansestadt aufgenommen. In dieser Zeit hat er gelernt, schwere Lasten zu tragen. Der gegenwärtigen Misere - vier Niederlagen hintereinander, 0:10 Tore - begegnet er mit Fassung und Realismus.

Das hat nicht nur mit der langen Liste der Verletzten zu tun, sondern mit der Erfahrung, dass schon das nächste Spiel Besserung bringen kann, und sei es noch so unverhofft. Am Wochenende kommt ein ebenfalls gebeuteltes Werder Bremen zum Nachbarschaftstreffen. "Derby des Grauens" bezeichnete es ein Hamburger Reporter in Gisdols Anwesenheit, der Trainer fand das ein wenig geschmacklos. Aber er wollte für das nächste Spiel auch nicht mehr versprechen, als er halten kann: "Es wird jedenfalls ein Derby sein", sagte er.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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