Hamburger SV:Kantersieg gegen die Vergangenheit

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HSV-Angreifer Bakery Jatta (zweiter von links) wird von seinen Teamkollegen für seinen ersten Doppelpack der Karriere geherzt. (Foto: Thomas Metelmann/Imago)

Der HSV schafft beim 5:0 gegen Osnabrück den höchsten Erfolg seiner noch jungen Zweitliga-Geschichte und ist wieder Tabellenführer. Der Hamburger Trainer Daniel Thioune berichtet dennoch von "gemischten Gefühlen" nach dem Erfolg gegen sein früheres Team.

Von Thomas Hürner, Hamburg

So eine Pointe kann nur der Fußball liefern, da ist er so erbarmungslos wie vorhersehbar. Montagabendspiel der Zweiten Liga, der Hamburger SV empfing den VfL Osnabrück, eigentlich nur der nächste Termin im rammelvollen Kalender. Für einen Mann aber war das die Partie des Jahres, obwohl das neue gerade erst begonnen hat und noch einige Unwägbarkeiten mit sich bringen wird. Es ging für ihn gegen seine Vergangenheit, gegen seine Heimat und seinen Herzensklub.

Diese Wiedersehen sind im Fußball meist nur Theater, mit Blumensträußen, verweigertem Torjubel, inszenierter Melancholie. Nicht aber für Daniel Thioune, der 44 seiner 46 Lebensjahre in Osnabrück verbracht hat, im Kindesalter VfL-Fan wurde und sich im Klub später so viel Anerkennung erwarb, dass ihm im Sommer einer der schwierigsten Jobs im deutschen Fußball offeriert wurde: Trainer beim HSV. Am Montag nun gelang ausgerechnet gegen Osnabrück ein hoher 5:0-Sieg, die Leistung des HSV war die eines Aufsteigers. Kurz vor Ende der Hinrunde steht der frühere Bundesliga-Dino auf Tabellenplatz eins.

Hinterher sprach Thioune von einem "sehr guten Ergebnis" - in einem Spiel, das "kein alltägliches" gewesen sei und "gemischte Gefühle" in ihm ausgelöst habe. Im Profigeschäft kommt es ständig zu Duellen zwischen irgendwelchen Ex-Spielern und Ex-Trainern mit ihren Ex-Vereinen, doch nur selten beinhalten diese Duelle eine so aufrichtige Emotionalität wie bei Thioune und dem VfL. Er ist geboren und aufgewachsen im Landkreis Osnabrück, als Sohn einer Deutschen und eines senegalesischen Antiquitätenhändlers.

Der HSV hat unter Trainer Thioune eine ordentliche Entwicklung genommen

In jungen Jahren habe er auch mal körperlich "einstecken müssen", hatte Thioune einst berichtet, "aber da war nicht immer klar, ob meine Hautfarbe der Grund dafür war oder meine große Klappe." Ressentiments waren für Thioune damals aber keine dauerhafte Begleiterscheinung, schon gar nicht im Stadion an der Bremer Brücke. Sein Vater nahm ihn regelmäßig mit zu den Spielen, Thioune wurde Profi und stieg mit dem VfL auf - und dann wurde er ein Aufstiegstrainer. Im Vorfeld der Partie hatte Thioune gesagt, dass er sich in Osnabrück "brutal entwickeln" durfte, vor allem "als Mensch".

Am Montagabend sah es nun so aus, als habe der HSV unter dem Trainer Thioune ebenfalls eine ordentliche Entwicklung genommen. Das 5:0 war der bislang höchste Sieg in der noch immer kurzen Zweitliga-Geschichte des Traditionsklubs, der gegen die Osnabrücks, Sandhausens und Aues meist ja nur etwas zu verlieren hat. Diese Gegner sind keine Laufkundschaft, sie spielen robust, giftig und verteidigen mit voller Mannstärke um den eigenen Strafraum. Ein favorisiertes Team befindet sich auf der ständigen Suche nach Räumen, während die Kleinen ihre überfallartigen Konter vorbereiten.

Thioune versuchte es deshalb zu Beginn beim HSV lange mit einer Verwirrtaktik, die permanente Systemwechsel und Rotationen vorsah; gesetzt war eigentlich nur Torjäger Simon Terodde. Von diesem Flexibilitäts-Overload ist Thioune inzwischen abgekehrt, seine Treue auch zu formschwachen Akteuren scheint sich bezahlt zu machen.

Thioune stellte sich schon als Osnabrücker Trainer schützend vor Jatta

Den ersten Treffer gegen Osnabrück erzielte Spielmacher Sonny Kittel mit einem Schlenzer in den Winkel (16.). Kittel ist ein feiner Fußballer, der zuletzt aber zur Lethargie neigte. Das HSV-Trikot kann sich manchmal eben bleischwer anfühlen, sogar für einen hünenhaften und erfahrenen Verteidiger wie Toni Leistner, der vor der Saison vom 1. FC Köln kam und auf die HSV-Abwehr zunächst eher destabilisierend einwirkte. Thioune hielt an ihm fest, Leistner spielt neuerdings wie eine echte Führungskraft.

Auch dessen Nebenleute profitieren davon, etwa der Außenverteidiger Josha Vagnoman, der am Montag seinen zweiten Saisontreffer erzielte (54.). Und dann ist natürlich noch Angreifer Bakery Jatta zu nennen, der, abgesehen von einem Osnabrücker Eigentor (64.), die restlichen HSV-Treffer beisteuerte (41./48.). Für Jatta, 22, war es der erste Doppelpack in seiner noch jungen Karriere, in der ihm schon viele Widrigkeiten begegnet sind, allerdings meist in Form von via Boulevard gestreuten Zweifeln an seiner Identität.

Das führt zurück zu Thioune, der sich schon schützend vor Jatta stellte, als er noch Trainer in Osnabrück war. Andere Zweitligisten hatten in der Vorsaison nach Niederlagen gegen den HSV Protest eingelegt - mit der Begründung, dass jeder Einsatz Jattas einen Regelverstoß darstelle, solange die Identitätsfrage nicht geklärt sei. Für Thioune war das jedoch nur eine billige Masche, um sich Punkte am grünen Tisch zu erstreiten. Er sagte damals, dass derlei nicht "auf dem Rücken einen Flüchtlings" ausgetragen werden solle, "der niemandem etwas getan hat". Dafür wurde Thioune mit dem Preis für den "Fußball-Spruch des Jahres" 2020 bedacht.

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