Hamburger SV:Gedemütigt ins Schweige­kloster

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Frustrierendes Ritual: Hamburgs Spieler versammeln sich nach dem Abpfiff vor ihren erbosten Fans. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Beim HSV beginnt nach dem verpassten Aufstieg die Analyse des Scheiterns - Investor Kühne sagt, es sei "verhängnisvoll" gewesen, dass man sich nicht bereits im Februar von Trainer Wolf getrennt habe.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn

"In Ruhe zusammensetzen" wollte sich Ralf Becker nach dem 0:3 in der Vorwoche gegen Ingolstadt. "In Ruhe zusammensetzen" wollte sich der Sportdirektor des Hamburger SV auch nach dem 1:4 am Sonntag in Paderborn. Wenn Beckers konsequenter Krisenplan akribisch umgesetzt wird, verbringen er und der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann die Sommermonate im Schweigekloster. Und man darf gespannt sein, ob Becker dort als Sportdirektor wieder herauskommt. Der Trainer Hannes Wolf wird sich vermutlich nicht mehr mit in Ruhe zusammensetzen dürfen. Am Sonntag beendet sein am Aufstieg gescheiterter HSV gegen den Absteiger Duisburg eine bittere Saison, und für Wolfs mutmaßliches Abschiedsspiel sind nahezu alle Karten vergriffen, weil man in Hamburg mal dachte, dass man an diesem Tag den Aufstieg feiern würde. Das klappt aber nicht mehr. Mal sehen, ob das Stadion nun trotzdem voll wird.

Der HSV war mit dem Ziel in die Saison gegangen, von August 2019 an nicht mehr gegen zweitklassige Klubs spielen zu müssen, gegen Klubs wie beispielsweise den SC Paderborn. Ein Teil dieses Ziels könnte ironischerweise nun erreicht werden, weil die Paderborner am kommenden Sonntag nur in Dresden gewinnen müssen, damit die HSV-Fans in der nächsten Zweitligasaison nicht mehr mit der Bimmelbahn durch Ostwestfalen tingeln müssen. Die Paderborner wären dann das, was der HSV von sich selbst erwartet: erstklassig. Das 1:4 in Paderborn, das auch ein 1:8 hätte werden können, war die ultimative Demütigung eines Klubs, der dachte, mit 28 Millionen Euro Spielergehältern könne man geschmeidig durch die zweite Liga surfen.

Und dass die Mannschaft dann zu verkrampfen begann, als es in die entscheidende Phase ging, war offenbar kein Zufall, sondern Nervensache. Am 26. Februar war der HSV letztmals Tabellenführer, am 10. März war er nach dem emotional bedeutsamen 4:0-Triumph in St. Pauli immerhin noch Zweiter. Er hatte damals drei Punkte Vorsprung auf den Dritten Union Berlin, sieben Punkte Vorsprung auf den Vierten FC St. Pauli - und zwölf Punkte Vorsprung auf den Siebten Paderborn. Zwölf! Seither hat der HSV aus acht Spielen drei Punkte geholt und zuletzt dreimal in Serie verloren, mit addierten 1:9 Toren.

"Die Mannschaft war dem Druck nicht gewachsen", sagte Aaron Hunt als erfahrenster Spieler mit ein bisschen Abstand nach dem Abpfiff in Paderborn. Noch auf dem Spielfeld hatte er geschimpft: "Heute haben sich alle nur verpisst." Hunt meinte damit, dass niemand die Verantwortung und den Ball übernehmen wollte und dass sich niemand so richtig gezeigt habe auf dem Platz. Er selbst war erst zur zweiten Halbzeit eingewechselt worden, reihte sich aber nahtlos ein in die ausdruckslose Elf.

Weniger Sponsoreneinnahmen, weniger TV-Gelder: Der Etat wird kleiner werden

Und so spricht schon jetzt niemand mehr über das finale Saisonspiel gegen Duisburg, sondern längst über die nächste Saison. Dabei geht es um Personalentscheidungen vor dem Hintergrund eines deutlich reduzierten Saisonetats. Das wird massive Veränderungen im überteuerten Kader erfordern. Alle haben am Sonntag ja den SC Paderborn mit Trainer Steffen Baumgart und dem Sportchef Markus Krösche gelobt. Krösche hätten die Hamburger vor einem Jahr selbst gern verpflichtet, Paderborn hat ihn aber nicht hergegeben. Ein bisschen so wie Krösche werden es die Hamburger künftig aber wohl machen müssen. Das Motto der klammen Paderborner bei Spielerverpflichtungen lautet stets: Not macht erfinderisch.

Am Sonntag war es exakt 365 Tage her, dass der HSV trotz eines 2:1-Heimsiegs gegen Mönchengladbach aus der Bundesliga abgestiegen war. Der 12. Mai wird also kein Gedenktag in diesem Klub, vielmehr ein Mahntag. Vor einem Jahr waren viele Tränen geflossen bei Spielern und Fans. Das war diesmal anders. Deprimiert haben die meisten drein geschaut, aber die Entwicklung der vergangenen Wochen hat die Emotionalität gedämpft. Viele Spieler wirkten bei ihrem rhetorischen Abgesang auf das gescheiterte Team ziemlich aufgeräumt.

Den HSV-Investor Klaus-Michael Kühne wundert das nicht. Er sagte am Montag, der Niedergang habe sich für ihn längst abgezeichnet. Bereits am 26. Februar habe er den relevanten Gremien des Klubs empfohlen, sich vom Trainer Wolf zu trennen - am besagten Tag, an dem der HSV letztmals Tabellenführer war. Nun konstatiert Kühne: "Die fehlende Handlungsbereitschaft der Gremien war aus meiner Sicht verhängnisvoll." Er fordert "mutige Personalentscheidungen" für eine neue "Aufbruchstimmung".

Was immer das bedeutet. Der neue Mut des Hamburger SV wird sich vor allem in preiswerten Entscheidungen zeigen müssen. Weniger Fernsehgeld und weniger Sponsorenmittel werden den Etat belasten, trotzdem wagt Sportchef Becker bereits wieder kühne Prognosen und sagt schon jetzt, dass das unbedingte Ziel dann eben der Aufstieg in der kommenden Saison sein müsse. Von solchem Wagemut haben im Klub aber viele genug. Der Vereinsheld und Altersweise Uwe Seeler, 82, sagt: "Ich fürchte, dass der Aufstieg im nächsten Jahr nicht einfacher wird - sondern schwieriger."

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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