Hamburg - Hoffenheim (15.30 Uhr):Emotionales Problem

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Julian Nagelsmann ist jung – er hat aber auch den Ehrgeiz, schon in jungen Jahren viel zu erreichen. (Foto: Luis Vieira/AP)

Nach der zweiten internationalen Lektion dieser Saison müssen sich die TSG Hoffenheim und Trainer Nagelsmann neu ausrichten.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Wie entwickele ich Spieler weiter, wenn alle drei Tage ein wichtiges Spiel gespielt werden muss? Diese Frage stellt sich Julian Nagelsmann seit Beginn dieser Saison, der ersten dieses noch immer erst 30 Jahre jungen Trainers und seiner TSG Hoffenheim mit der Terminhatz in Bundesliga, DFB-Pokal und Europapokal. Eine Antwort hat Nagelsmann schon seit einigen Wochen gefunden: "Eine Weiterentwicklung durch Training ist bei dieser Belastung nicht möglich." Mit diesem Befund erklärt Julian Nagelsmann vieles, was derzeit in Hoffenheim passiert: In den vergangenen zwölf Pflichtspielen gelangen der TSG nur zwei Siege. Und nach dem Pokal-Aus beim SV Werder Bremen scheiterte sein Team nun auch an dem Ziel, im Europapokal zu überwintern: Nach dem enttäuschenden 1:3 im Regen von Braga endete am Donnerstag die allererste Europapokal-Kampagne der Badener vorzeitig. Nagelsmanns grundsätzliches Fazit fiel ebenso nüchtern wie ehrlich aus: "Über die gesamte Saison in der Europa League waren wir einfach nicht gut genug."

Nur ein Sieg und ein Remis in fünf Spielen gegen international eher zweitklassige Mannschaften wie Braga, Ludogorez Rasgrad und Istanbul Basaksehir FK machen das Scheitern noch bitterer. Nach dem Aus in der Champions-League-Qualifikation gegen den großen FC Liverpool war das für die TSG und ihren ambitionierten Trainer schon die zweite internationale Lektion - dadurch, dass sie in der Fußballprovinz stattfand, war sie noch schmerzlicher. Das sang- und klanglose Aus in Europa bedeutet auch eine gewisse Zäsur im laufenden Spielbetrieb, der an diesem Sonntag für die TSG mit dem Auswärtsspiel beim Hamburger SV in der Bundesliga weitergeht.

Führte die Europapokalteilnahme bei Vereinen wie Freiburg, Augsburg, Mainz oder Eintracht Frankfurt zu Leistungseinbrüchen in der Liga, sah es bei Hoffenheim anders aus: Vor allem im Europapokal konnte das Team seine Bestleistung nie erreichen. Auswärts- wie Heimspiele gegen die namenlosen Gegner aus Bulgarien, der Türkei und Portugal waren keine Festtage, sondern fühlten sich an wie - obendrein schlecht besuchte - Pflichttermine, ja fast wie eine Qual, nach den emotionalen Höhepunkten in der Champions-League-Qualifikation gegen den FC Liverpool. Auch das mag ein Grund dafür sein, warum Nagelsmann Donnerstagnacht feststellte: "Wir haben ein Problem damit, alle drei Tage so emotional aufzutreten, dass es für einen Sieg reicht."

Nüchternes Fazit: "Wir sind kein Spitzenteam"

Ohnehin hat Nagelsmann während der Belastungen der letzten Monate festgestellt, dass es das Schwerste für einen Fußballprofi sei, sich immer neu auf den Punkt treffend zu fokussieren. Christiano Ronaldo und andere Spitzenspieler schafften aber genau dies schon über Jahre, warum sollte das nicht auch seinen Spielern gelingen, frage der ehrgeizige Trainer. Seine Antwort: "Wir sind kein Spitzenteam", sagte Nagelsmann und erklärte: "Spitzenteams entwickeln sich nur drei bis vier Prozent im Training weiter, alles andere läuft über die Stabilität in den Spielen. Wir brauchen das Training, um uns weiterzuentwickeln."

Auch deshalb sieht der Trainer nun zuvorderst Chancen, vor allem für junge Spieler könnte sich das Ende der erhöhten Belastung fördernd auswirken. Bei aller berechtigten Kritik: Durch verletzungsbedingte Ausfälle von etablierten Kräften mussten Talente wie Mittelfeldstratege Dennis Geiger, 19, oder Abwehrspieler Stefan Posch, 20, bislang stärker beansprucht werden als geplant. Bei der Pleite in Rasgrad fehlten neun potenzielle Stammspieler verletzt, in Braga musste Nagelsmann auf seine "Aggressiven Leader" Sandro Wagner und Benjamin Hübner verzichten. Hübner (Knieverletzung) wird noch länger ausfallen, Wagner (krank) könnte am Sonntag beim HSV aber wieder zur Verfügung stehen.

Läuft das letzte Europa-League-Spiel gegen Rasgrad unter dem Motto "Spielpraxis für bislang wenig Beanspruchte", gilt es in den letzten vier Ligaspielen vor Weihnachten, die noch immer gute Ausgangsposition in der Bundesliga zu verteidigen. Nach 13 Spieltagen rangiert die TSG auf Rang sechs - mit nur drei Punkten Rückstand auf Rang zwei. Allerdings sind es bis Platz zehn auch nur vier Punkte.

Ausbildungsverein gerät an seine Grenzen

Dabei könnte der Klub besser dastehen, doch es zieht sich in allen Wettbewerben wie ein roter Faden durch die bisherige Saison: Die TSG lässt zu viele klare Torchancen ungenutzt. Der kroatische Nationalspieler Andrej Kramaric beispielsweise erzielte in 20 Pflichtspieleinsätzen nur zwei Treffer. Zudem können viele Spieler nicht an die überragenden Leistungen der vergangenen Runde (Tabellenplatz vier) anknüpfen. Dazu gehören die kreativen Mittelfeldspieler Kerem Demirbay und Nadiem Amiri ebenso wie zuletzt Kapitän Kevin Vogt oder Flügelflitzer Steven Zuber. Andere wie Pavel Kaderabek, Ermin Bicakcic oder Hübner fallen oder fielen lange mit Verletzungen aus. Zudem konnte der Verlust der beiden Nationalspieler Niklas Süle und Sebastian Rudy (beide im Sommer zum FC Bayern) nicht kompensiert werden. Der norwegische Internationale Havard Nordtveit, für sieben Millionen Euro von West Ham United verpflichtet, enttäuschte als Süle-Ersatz in der Dreierabwehrkette in Braga erneut.

Die TSG steht gerade an einem Scheideweg. Es wird spannend zu beobachten sein, inwieweit Spekulationen um mögliche Wechsel von Spitzenspielern den weiteren Saisonverlauf beeinflussen. Nationalstürmer Sandro Wagner will schon im Winter zum FC Bayern München wechseln, der Ablösepoker zwischen den Vereinen läuft (Bayer-Präsident Uli Hoeneß: "Derzeit liegen wir meilenweit auseinander"). Bei Torjäger Mark Uth stehen die Zeichen auf Trennung im Sommer, er hat seinen auslaufenden Vertrag noch nicht verlängert. Und der aktuelle Leihvertrag des lange verletzten Serge Gnabry sieht vor, dass der U 21-Europameister nach dieser Saison wieder zum Kader des FC Bayern gehört. Auch Spieler wie Demirbay und Amiri sind bei größeren Klubs begehrt. Und auch der Trainer ist ja immer wieder Objekt anhaltender Spekulationen.

Die Verantwortlichen in Hoffenheim sind sich bewusst, dass sie einen Ausbildungsverein managen. Gerade werden ihnen aber auf allen Ebenen geballt ihre Grenzen aufgezeigt. Ob Julian Nagelsmann es schafft, die Grenzen dieser Mannschaft in der Rückrunde mit viel Training und weniger Spielen noch einmal nach oben zu drücken?

© SZ vom 26.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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