Hängende Spitze:Lilien zu Gänseblümchen

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(Foto: N/A)

Seit Torsten Frings in Darmstadt den Obergärnter gibt, hat er den Lilien dort eine neue Robustheit angezüchtet.

Von Barbara Klimke

Es war von Anfang an ein Missverständnis. Man hätte jeden Platzwart fragen können: Fußballäcker sind keine Blumenbeete. Sie sind denkbar ungeeignet als Substrat für prachtvolle, trompetenblättrige, blendendweiße Ziergewächse. Lilien, das weiß jeder Friedhofsgärtner, brauchen nährstoffreiche Erde, Schatten für die Wurzeln und warme Sonne für die Blüten. Das ist ein Standort, der sich in den Bundesliga-Arenen höchstens für ein Viertelstündchen an jedem Spieltag hinterm Torpfosten findet. Was Lilien gar nicht vertragen, ist plattgewalzter Boden. Also einer, über den der Rasenwart regelmäßig mit dem Rasenmäher brettert. Weil das bei Liliengewächsen schlimmstenfalls zur gefürchteten Stängelgrundfäule führen kann.

Was sich die Kluboberen also dabei dachten, als sie dem SV Darmstadt 98 einst die Lilie ins Vereinslogo pflanzten, bleibt rätselhaft. Anscheinend hatten sie einfach ein Symbol des Darmstädter Stadtwappens umgetopft. Dass die Madonnen-Lilie, Inbegriff der Reinheit, nun seit Monaten den Bodensatz der Bundesliga ziert, ist jedenfalls eine bitterböse Ironie, die der tapfere Tabellenletzte nicht verdient.

Denn spätestens seit Januar, als Obergärtner Torsten Frings die Hege und Pflege der Darmstädter übernahm, orientieren sie sich an einem anderen Pflänzchen. Von Stängelgrundfäule und ähnlich deprimierenden Zuständen ist bei dem seit drei Spieltagen unbesiegten Schlusslicht nichts mehr zu erkennen. Stattdessen nehmen sich die Lilien ein Beispiel an der unscheinbarsten aller Rasenpflanzen, dem gemeinen Gänseblümchen: Egal, wie oft es plattgetrampelt wird, welche Horden es niederwalzen, es vermag sich immer wieder aufzurichten. Gegen Freiburg ist Darmstadt gar ein 3:0 und damit der höchste Sieg in der Bundesliga seit 1979 gelungen.

Kommenden Samstag tritt der muntere Tabellenletzte beim FC Bayern an, furchtlos, wie von dort zu vernehmen ist. Auf die Münchner wartet am Ende der Saison eine Silberschale. Den Darmstädter Liliengewächsen sollte man einen Gänseblümchenkranz verleihen.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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