Hängende Spitze:Leinöl statt Olivenöl

Lesezeit: 1 min

Aus mit Pasta und Weißwein-Risotto: In Dortmund fuhr regelmäßig der Lieferant aus Toni's Ristorante vor. Dann kam Thomas Tuchel.

Von Philipp Selldorf

Schöner als das Frühstück ist nur das zweite Frühstück. Fußballer sind da ausnahmsweise nicht zu beneiden. Anstatt am Vormittag ein gutes Omelett mit Schinken zu genießen, müssen sie auf dem Trainingsplatz sogenannte Umschaltmomente sowie die abkippende 6 einstudieren. Die Spieler von Borussia Dortmund durften sich bisher damit trösten, dass nach der Arbeit der Lieferant aus Toni's Ristorante vorfuhr, im Laderaum frische Pasta, Weißwein-Risotto und andere herrliche Speisen. Jahrelang war das der Brauch - und alle waren froh. Bis Thomas Tuchel kam.

Die Neue Zürcher Zeitung nannte Tuchel jüngst den "Mann, der kein Getreide mehr isst" und fühlte sich bei seinem Anblick an den manischen Schauspieler Klaus Kinski erinnert. Niemand weiß, womit Kinski seinen irren Blick gespeist hat, aber man weiß, dass Tuchel in seinem Urlaubsjahr den Konsum von Kohlenhydraten eingestellt hat, weshalb er aussieht wie ein wandelndes Klappergestell, durch das der Wind pfeift. Auf Tuchels Geheiß ist jetzt für den Menü-Plan der Dortmunder Profis der Athletiktrainer zuständig, es gibt fettarme Soßen, Leinöl statt Olivenöl und als besondere Gemeinheit: Vollkornnudeln. Nun sagen natürlich alle, dass der BVB dank der Vollkornnudeln so toll gestartet ist, aber das könnte wieder einer dieser populären Irrtümer sein. Vielleicht hätten die Dortmunder höher gewonnen, wenn sie zuvor einen schönen Rosmarin-Schweinebraten aus dem Ofen gegessen hätten, in der zweiten Halbzeit haben sie ja bloß noch ein Tor geschossen - gingen ihnen die Kräfte aus?

Ewald Lienen zum Beispiel, ein anderer Gesundheitsapostel im Fußball, ist dafür bekannt, dass er akribisch seine Ernährung beaufsichtigt, sein eigenes Müsli schrotet und ungefragt Vorträge über den Schaden von Weißmehl hält. Und? Neulich ist er trotzdem mitten in einem Liga-Spiel gestürzt und hat sich den Arm gebrochen. Ironie der Geschichte: Nach St. Paulis Klassenerhalt schrieb eine Hamburger Hip-Hop-Band ein Lied für Lienen. Die Band heißt "Fettes Brot".

Der Optimierungswahn im Fußball wird vermutlich dazu führen, dass die Profis demnächst Astronautennahrung erhalten. Aber wenn bald beim BVB die Mangelerscheinungen um sich greifen, dann werden die Leute schon noch kapieren, dass man von Toren und Punkten nicht satt werden kann.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: