Hängende Spitze:Im Gedenken an Heribert Faßbender

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Sieg, Niederlage, Remis, Angriff, Abwehr: Eine Floskel dient Kommentatoren, die sich als Taktik-Versteher beweisen wollen, als Erklärung für alles.

Von Philipp Selldorf

Als vor Jahren die Sportschau noch das führende Fernsehfußballmedium war, kam es zu folgendem Vorfall: Nachdem die drei Berichte vom Samstagnachmittagsspieltag gesendet waren, ergriff der Moderator Heribert Faßbender das Wort, um einen Appell an die Zuschauer zu richten. Er sagte, er wisse ja, dass viele Leute den Fernseher ausschalten, sobald der Fußballteil beendet sei, aber diesmal, setzte er fort, wolle er dringend empfehlen, am Bildschirm zu bleiben, denn jetzt käme ein wirklich spannender Bericht vom . . . - man erinnert sich nicht mehr, welche Sportart er dann beworben hat, es ging in Richtung Drachenfliegen, Kunstradfahren oder Schleifentanz, irgendeine sportliche Beschäftigung, die es gewiss verdient hatte, ein bisschen Sendezeit zu bekommen. Was man aber weiß: Noch während Faßbender seine Bitte vortrug, ist man aufgesprungen, um sofort den Fernseher auszuschalten.

Schöne Zeiten waren das. Nicht unbedingt wegen Heribert Faßbender, sondern weil in keinem der von Dieter Adler oder Wilfried Luchtenberg kommentierten Berichte das Wort "Umschaltspiel" vorkam. Gut, Luchtenberg hatte diesen anderen Begriffsfetisch, in jeder Reportage bezeichnete er den führenden Mittelfeldspieler als "Dreh- und Angelpunkt", aber niemals hat er vom Umschaltspiel gesprochen. Heutzutage dagegen ist Umschaltspiel das am meisten genannte Wort im Fernsehfußball. Es kommt öfter vor als Worte wie Flanke oder Kopfball, und es dient als systemtheoretische Erklärung für alles: Sieg, Niederlage, Remis, Angriff, Abwehr. Im Sportfernsehen ist das Umschaltspiel sowohl die Henne als auch das Ei des Fußballs, es ist der Dreh- und Angelpunkt im Wortschatz der Kommentatoren, die sich dem Publikum als zeitgemäße Taktikversteher präsentieren möchten. Würde es eine Zensur für das Wort geben, dann wären die Spielberichte im "Sportstudio" ein einziger Pfeifton. Würde man das Wort aus dem Textbestand der Sendung streichen, dann dauerte sie nur noch halb so lang, und man müsste sich fragen, ob man auch das nächste Mal den Wecker stellt, um kurz vor Mitternacht das ZDF einzuschalten.

Daher eine Warnung im Gedenken an Heribert Faßbender: Der überreichliche Gebrauch des Ausdrucks Umschaltspiel kann zum sofortigen Um- oder Ausschalten führen.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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