Golf:Zu schnell für die Zeitlupe

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Unterarme wie Oberschenkel: Golfprofi Bryson DeChambeau auf der letzten Runde des Turniers in Detroit. (Foto: Carlos Osorio/AP)

Bryson DeChambeau, der neue aufgepumpte Muskelmann der US-Tour, verblüfft die Branche nun mit dem souveränen Turniersieg in Detroit - und bezeichnet seine Dominanz als "Testlauf" für die noch anstehenden Majors. Für die Konkurrenz heißt das nichts Gutes.

Von Gerald Kleffmann, Detroit/München

Die Konkurrenten? Nach dieser Vorstellung blieb ihnen nur eines übrig: in Zynismus zu flüchten. "Das Ergebnis zeigt, er hat zu viel Zeit für sich", sprach Kevin Kisner bei CBS. "Er bräuchte mal Kinder oder so." Der Südkoreaner Byeong Hun An flehte bei Twitter: "Liebe PGA Tour, Bryson DeChambeaus Länge hat nichts mit seinen Profikollegen zu tun. Macht die Plätze nicht länger." Und weil DeChambeau, der neue Muskelmann des Weltgolfs, am Sonntag tatsächlich mit seiner neuen aufgepumpten Statur seinen ersten Sieg errang bei der mit 7,5 Millionen Dollar dotierten Rocket Mortgage Classic in Detroit, witzelte der Engländer Andrew Johnston: "Ich denke, ich kann für alle Spieler sprechen. Er sollte seine eigene Toilette kriegen. Ich möchte ihm nicht dorthin folgen, nachdem ich seine Nahrung/Protein-Diät gesehen habe." Die Börsenwerte der Shakes-Hersteller müssen gerade raketenhaft ansteigen wegen DeChambeau.

Der Kalifornier, der an der Southern Methodist University in Dallas mit dem Hauptfach Physik studierte, war freilich schon vor Corona ein Weltklassegolfer - und ein Kauz. Er hatte bereits fünf Titel auf der US-Tour errungen, seine Nick-Knatterton-Kappe stets auf dem Kopf und Eisenschläger in den Händen, die bei ihm alle gleich lange Schäfte haben, exakt 95,25 Zentimeter; das macht sonst keiner. Aber in all jener Zeit, in der DeChambeau im Nano-Bereich nach Vorteilen für sein Spiel suchte, war er normal gebaut. Jetzt nennen sie ihn Hulk. Oder King Kong, wie das Magazin Golf Digest. Man könnte ihn auch als Holzhacker umschreiben. Wenn er nun mit Wucht gegen den Ball knüppelt, entwickelt er derart hohe Fliehkräfte, dass es ihn im Rückschwung komplett aushebelt. 20 Kilo hat er sich angefuttert und angeschlürft, allein 10 Kilo in diesem Jahr, 110 Kilo wiegt er jetzt, bei 1,85 Meter Größe. Dass Tiger Woods immer noch pausiert? Interessiert gerade keinen. Denn DeChambeau könnte selbst einer sein wie Woods Ende der Neunzigerjahre, als der den Sport revolutionierte. Er brachte damals Athletik und Fitness ins Spiel. Bei DeChambeau ist es nun Brutalität. "Er hat das Spiel, wie wir es spielten, komplett verändert", ordnete Kisner ein.

Insbesondere eine Statistik unterstreicht die Einmaligkeit seiner Mutation. 2003 wurde das Datenprogramm "Shotlink" eingeführt, das jeden Schlag jedes Spielers erfasst und unzählige, teils komplizierte Längen- und Schlag-Vergleiche ermöglicht. Nun, nach seinem Sieg mit drei Schlägen Vorsprung auf Landsmann Matthew Wolff, kam vereinfacht formuliert heraus: DeChambeau war nicht nur beim Putten auf dem Grün am effektivsten, sondern auch beim Abschlag aller Par-4- und Par-5-Bahnen. Dort hat er quasi so weit geschlagen, dass er den üblichen zweiten Schlag übersprang - weil sein Ball schon fast an jener Stelle lag, an der der dritte Schlag erfolgt. Eine solche Überlegenheit bei diesen Werten hatte kein Profi in 16 Jahren der Shotlink-Erfassung vollbracht.

"Das Wichtigste ist, dass ich Leuten gezeigt habe: Es gibt eine andere Art, es zu machen."

Zwei beliebige Szenen dazu: Am Sonntag startete DeChambeau an Abschlag 1 nicht solide, sondern sofort wie unter Strom mit einem Schuss über 331 Meter in die Schlussrunde. An Bahn 13 wartete er, weil noch die Spielgruppe vor ihm auf dem Grün dieser Par-4-Bahn stand - in 364 (!) Metern Entfernung. Er fürchtete, die anderen zu treffen. Für 170 Meter nehmen Amateure schon mal ein Holz mit großem Schlägerkopf - DeChambeau reicht ein Eisen 9. In einer Zeitlupe wurde sein Abschlag im Fernsehen einmal gegen den eines Kollegen geschnitten. Der andere hatte noch nicht mal ganz ausgeholt, da hatte DeChambeau durchgezogen. Seine Geschwindigkeit ist so aberwitzig, dass alle staunen, Spieler, auch Caddies. "Er hat das, was sonst nur bei Long-Driving-Wettbewerben gemacht wird, ins höchste Turnierlevel transformiert", sagte John Wood, Taschenträger von Matt Kuchar, bei golf.com.

DeChambeau selbst zeigte sich durchaus ergriffen vom Erfolg: "Das Wichtigste ist, dass ich Leuten gezeigt habe: Es gibt eine andere Art, es zu machen", sagte er nach dem Triumph. "Er ist schon etwas emotional für mich. Ich habe meinen Körper geändert, meine Herangehensweise im Spiel, und ich habe es geschafft, mit einem völlig unterschiedlichen Golf-Stil zu gewinnen." Dass die Resonanz in der Branche vorerst mehr von ehrfürchtiger Fassungslosigkeit denn zufliegenden Herzen geprägt war, hat vielleicht auch damit zu tun, dass einen derartigen Kräftezuwachs wie bei DeChambeau immer auch Zweifel begleiten dürften. Zudem hatte sich der 26-Jährige am Samstag mit einem Streit nicht beliebt gemacht. Nachdem an der sechsten Bahn sein Ball im Bunker gelegen hatte, bekam er einen sanften Anfall - der zunahm, als er sah, wie ihn ein TV-Kameramann filmte, wie jeden nun mal an diesem Grün. DeChambeau rechtfertigte sich, Spieler sollten nicht in ihrer Verletzlichkeit gezeigt werden, sie bräuchten auch Privatsphäre, müssten geschützt werden. Harsche Kritik in US-Medien folgte ob dieser sonderbaren Sicht. Golfweek warf ihm Narzissmus vor.

Dass DeChambeau sich auf einer Mission wähnt und seine Interpretation von Golf fortsetzen will, machte er indes klar: Der Sieg gebe ihm "viel Momentum für die Majors", PGA Championship, US Open und Masters sollen noch ausgetragen werden, in der zweiten Jahreshälfte. "Das fühlt sich wie ein guter Testlauf für mich an." Das dürften die Konkurrenten als Drohung verstehen. Seit dem Restart war DeChambeau in vier Turnieren nie schlechter als Achter.

© SZ vom 07.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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