Golf:Ziegelsteine im Rucksack

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Bei den BMW International Open bringen sich fürs Finalwochenende vornehmlich Profis der zweiten Reihe in Stellung. Der zweimalige Major-Sieger Martin Kaymer scheitert.

Von Gerald Kleffmann

Das eintönige Brummen ist nicht zu überhören, aber es dringt nicht vom Platz herüber, auch nicht vom Marktplatz, wo die Menschen flanieren, einen Prosecco trinken und sich kostenlose Werbedinge in die Hand drücken lassen. Es kommt von oben. Vom blauen Himmel. "Schauen Sie sich doch diese Bilder an", sagt Clemens Ranzinger begeistert, während er auf ein TV-Gerät zeigt. "Das ist das erste Mal überhaupt auf der European Tour, dass von einem Flugzeug aus Fernsehaufnahmen von der Anlage gemacht werden." Live, versteht sich, was die Nachbarn hier in Eichenried bei München aber nicht milde stimmt. Eine einstweilige Verfügung, das sickerte bis zu Ranzinger durch, sei von Anwohnern geplant, die den Krach nicht hinnehmen wollen. Und weil der Münchner als Supervisor für alle technischen Abläufe bei den BMW International Open zuständig ist, lauscht er aufmerksam, wenn sich eines seiner drei Walkie-Talkies krächzend meldet. Könnte ja Neuigkeiten geben. Dann muss er blitzschnell reagieren.

Zum 27. Mal findet diese Veranstaltung der European Tour statt, Ranzinger, Inhaber einer Agentur, ist seit 1998 als Fachkraft angeheuert. Er hat miterlebt, wie sich das Turnier im Detail verändert hat, wie es weiter professionalisiert wurde, nur eines ist stets gleich geblieben: "Die Menschen sind Herdentiere" - sagt er schmunzelnd und erzählt, wie an diesem Morgen ein Privatmann in der Nähe des GC Eichenried ein Schild aufgestellt hatte, mit dem Angebot, dort parken zu können. Binnen Minuten war die Straße dorthin verstopft, der Rückstau blockierte wiederum die Zufahrt zum Turniergelände. Um so ein Problem muss sich Ranzinger notgedrungen kümmern, an den ersten zwei Tagen kamen ja stattliche 30 500 Golfinteressierte, die gilt es geschickt zu lenken.

Grillen, Gitarrenmusik bis in die Nacht - früher herrschte in Eichenried Lagerfeuerromantik

Der 53-Jährige ist auch einer der wenigen, die von den wilden Zeiten im Obstgarten berichten können. Der Obstgarten ist ein durch Hecken abgetrennter Bereich hinter der Driving Range, wo sich die Spieler einspielen. Der Großteil dieses Areals wird als Parkplatz genutzt, aber vorne, vor der Hecke, darf gezeltet werden. "Früher gab es herrliche Abende", berichtet Ranzinger, "Grillen, Gitarrenmusik, bis spät in die Nacht herrschte schon mal Lagerfeuerromantik", für die die Caddies und mancher Jungprofi, der Geld sparen wollte, sorgten. Tja, die Zeiten sind vorbei. Zwei Männer, die vor einem der fünf, sechs Zelte sitzen, sagen, sie wüssten nichts von Taschenträgern, die dort wohnen. Auch nichts von Profis. Sie seien für den Auf- und Abbau zuständig, was man ihren Oberarmen ansieht. Wie sie das Turnier finden? Nett, sagt der eine mit den Tätowierungen und dreht sich gemütlich eine Zigarette. Er gehört unübersehbar zu einer Minderheit. Die Herdentiere sind hinter der Hecke.

Hingucker: Martin Kaymer, zweimaliger Major-Sieger, verpasst bei den BMW International Open, die seit 1989 ausgetragen werden, in diesem Jahr den Cut. (Foto: imago)

Man muss vom Obstgarten nicht weit gehen, um eine kleine Neuheit in diesem Jahr zu bestaunen. "Das ist unser Stadion", sagt Korbinian Kofler. Der Geschäftsführer des GC Eichenried lässt seinen Blick grinsend über genau jenes Stadion schweifen. Die Tribünenkonstruktion um den ersten Abschlag bietet ja nur 30 Menschen Platz. Ein netter Service, der tatsächlich ein wenig an die Eröffnungsbahn etwa bei der Open Championship im vergangenen Jahr in Liverpool erinnert. Aber nicht nur optisch, auch sportlich wurde der Platz für die Profiansprüche verändert, Abschläge wie die an den Bahnen 4, 6 und 8 wurden zurückversetzt, um den Kurs länger zu machen. 19 unter Par, so niedrig liegt das Durchschnittssieger-Ergebnis dieses Turniers. Zum Vergleich: Bei den US Open jüngst waren nur acht Profis unter Platzstandard. Diesmal wurde das Teilnehmerfeld zumindest bis zum Cut, dem Halbzeitschnitt, leistungsmäßig auseinandergezogen wie ein Kaugummi. Der Beste der 156 Starter, der Spanier Rafael Cabrera-Bello (65+67/-12), lag nach zwei Runden vor dem Engländer James Morrison, dem Nordiren Michael Hoey und dem Dänen Lasse Jensen - sowie 34 Schläge vor dem Letzten, dem Südkoreaner Jin Jeong (81+85/+22), der immerhin schon das Masters gespielt hat. Turbulente Ergebnisse lieferten die Deutschen, Marcel Schneider aus Pleidelsheim, der mal Sechster der Amateurweltrangliste war und in dieser Saison schon als Neunter in Agadir gefiel, glänzte mit sechs unter Par (68+70) als bester Deutscher. Florian Fritsch (München/-4), Maximilian Kieffer (Düsseldorf), Marcel Siem (Ratingen) und Anton Kirstein (Fleesensee/je -3) dürfen auch an der dritten und vierten Runde teilnehmen - Martin Kaymer dagegen, der teils wirkte, als spiele er mit einem Rucksack voller Ziegelsteine, verpasste die Qualifikation. Die 71er Runde war nach seiner 72 vom Donnerstag zu wenig.

Kaymer ließ seine Fans, die ihn am Rande schier erdrückten, wahrlich leiden. Zuerst fiel der 30-Jährige aus Mettmann, der zweimalige Major-Sieger, weiter zurück, beim Stand von +2 lag er schon weit vom Cut (-2) entfernt. Vier Birdies ab der neunten Bahn folgten. Er war im Cut. Dann verzog er den letzten Abschlag ins Wasserhindernis, minutenlang war unklar, wo er den Strafschlag ausführen musste. Er ließ den neuen Ball fallen und kassierte das Bogey. Seit seinem Sieg 2008 hat er hier nun vier Mal den Cut verpasst. "Wenn du zu Hause spielst, ist es ein bisschen schwierig", meinte Kaymer, "es ist sehr, sehr frustrierend."

Am Abend immerhin sitzt Ranzinger im Schatten, "die Schlacht für heute ist geschlagen", sagt er, auch mit den Nachbarn hat man sich geeinigt. Das Flugzeug darf weiter fliegen, aber nur eineinhalb Stunden statt vier pro Tag. Ranzinger hat den Kompromiss bewirkt, still hinter den Kulissen, und für den Moment sieht er zufrieden aus. "Aber es geht weiter." Die Herde kommt wieder. Auch ohne Kaymer.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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