Golf:Cinderella und der Clown

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Hinako Shibuno gelingt eine Überraschung: Bei ihrem ersten Profiturnier außerhalb Japans gewinnt sie die British Open.

Von Gerald Kleffmann, Milton Keynes/München

Karriere im Eiltempo: 2017 erst die Schule beendet, 2018 Proette geworden, nun Major-Siegerin - Hinako Shibuno aus Japan. (Foto: Ross Kinnaird/Getty Images)

Als Hinako Shibuno vor einer Woche die Hafenstadt Okayama verließ und nach England aufbrach, um das erste Mal ein Profigolfturnier außerhalb Japans zu bestreiten, hatte sie einen Vorsatz: Sie wollte Spaß haben. Die British Open? Das berühmte Major, bei dem sie teilnehmen durfte? Da wollte sie passabel abschneiden, klar. Wenn sie den Cut, die Qualifikation fürs Wochenende, schaffen würde, wäre sie glücklich gewesen. Also flog Shibuno los. Kaum jemand kannte sie in der internationalen Branche.

Eine Woche später ist das anders.

Als Shibuno am Sonntagabend vor Medienvertretern auf der Anlage des Woburn Golf Clubs nahe der Stadt Milton Keynes saß und zu ihrem Befinden befragt wurde, sagte sie: "Ich bin hungrig. Und übel ist mir." Später gab sie zu, sie hätte sich fast übergeben. Wann und wie der Erfolg über einen hereinbricht, kann man sich eben nicht immer aussuchen. Das weiß jetzt Shibuno, Tochter eines Beamten und seit 2018 Proette; so heißen weibliche Golfprofis. Da hatte sie eine Prüfung abgelegt, und weil bei der British Open jemand fragte, wie die Prüfung aussah, antwortete Shibuno höflich: "Es ist ein Turnier über vier Tage in Japan. Du willst dich am liebsten übergeben, ich will das nie wieder durchmachen." Dazu lachte sie. Smiling Cinderella, lachende Cinderella ist ihr Spitzname. Märchenhaft mutet ihre Geschichte tatsächlich an. Trotz des sensiblen Magens.

Nutzt die Pausen gerne für einen Bissen zwischendurch: Hinako Shibuno. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Shibuno war Anfang des Jahres die Nummer 559 der Weltrangliste. Erst 2017 hatte sie die Schule beendet, wo sie schon Erfolg als Golferin hatte. Sie spielt 2019 bislang nur in Japan, auf der JLPGA. Dort gelangen ihre zwei Siege, was sie auf Platz 46 im World Ranking hievte. Ihre Eltern sind auch sportlich, bemerkenswert: Der Vater war Diskuswerfer, die Mutter Speerwerferin. Zwei Schwestern hat Shibuno, und dass die Jüngere sie oft foppt, ist nun bekannt. Weil Siegerinnen von Major-Turnieren viel erzählen müssen. Mit einem Schlag Vorsprung hatte sie vor Lizette Salas (USA) gesiegt, ihr letztes Birdie auf der 18. Bahn zum Gesamtergebnis von 18 unter Par (Platzstandard) entschied zu ihren Gunsten. Immerhin war die Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt nicht mehr völlig überrumpelt von Smiling Cinderella. Es hatte sich angebahnt, dass da womöglich am Sonntag eine der größten Überraschungen im Frauengolf Realität werden könnte.

Am Donnerstag war Shibuno gleich die zweitbeste Runde gelungen, mit 66 Schlägen. Fünf Fragen bekam sie gestellt, ihre Antworten betrugen auch fünf Zeilen. Als Shibuno am Freitag nicht nur den Cut schaffte, sondern mit 69 Schlägen oben dran blieb, folgten 26 Fragen. Es war nun nicht mehr nur ihr zuverlässiges Golfspiel, das Interesse weckte. Da saß eine fröhliche, staunende Frau, mit Sinn für Ironie, die sich herrlich über sich lustig machte. Sie futtere die ganze Zeit Süßes, tat sie kund. Fischkuchen möge sie, was man auf der Runde sah. Bei Schlagpausen naschte sie. Sie sei im Museum gewesen, verriet sie, habe sich Mumien angesehen. Dass es in London, südlich von Milton Keynes, so viele Straßenmusiker gibt, habe sie auch nicht gewusst. Inmitten mancher genormt wirkender Profis wirkte sie belebend.

Am Wochenende dann war mit Angriffen der Etablierten gerechnet worden, die lauerten. Park Sunh-Hyun und Ko Jin-Young, die starken Südkoreanerinnen. Morgan Pressel aus den USA. Die Gladbeckerin Caroline Masson mischte in den Top Ten mit (sie wurde Elfte). Aber Shibunos Spiel brach nicht ein. Sie verkrampfte kein bisschen. Selten sah die Golfwelt eine Spielerin, die sich erstens so biegsam um die eigene Achse dreht und zweitens so heiter dem Triumph näher rückte. Richtig skurril machten ihre Geschichte die Auftritte ihres Managers, der, bei allem Respekt, etwas durchgeknallt zu sein scheint.

Ganz unbemerkt blieb der märchenhafte Aufstieg der 20-jährigen Golferin Hinako Shibuno bei den British Open nicht. (Foto: Peter Cziborra/Action Images via Reuters)

Hiroshi Shigematsu tauchte jeden Tag komplett verkleidet auf der Anlage auf. Einmal trug er den Mount Fuji als Hut, bis weit über die Ohren. Dann kam er als Samurai - samt Schwert. Am Sonntag, als es um den Siegerscheck in Höhe einer Winzigkeit von 590 000 Euro ging, war er: ein Clown mit blauer Perücke und Maske. Er wolle sie "zum Lachen bringen", sagte er Reportern am Ort. Sie fand ihn "peinlich", aber, klar: Sie lachte dabei. Und: Sie siegte mit beiläufigen fünf Birdies auf den letzten neun Bahnen, während sie Fans abklatschte, mitten im Showdown. Cinderella und der Clown, die Bilder der zwei hatten viele angelockt.

Nun ist Shibuno die erste japanische Major-Siegerin seit 1977 und erst die Zweite überhaupt, als Hisako Higuchi die PGA Championship gewann. Ein Japaner hat gar noch nie eines der wichtigsten Turniere gewonnen. Sie wisse noch nicht, ob sie nun auf die US-Tour, die LPGA, wechsele, gab sie zu. Aber eines wusste Hinako Shibuno: Vom Preisgeld wolle sie sich Naschzeug kaufen, "das bis ans Lebensende reicht".

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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