Fußball-WM: Pechvögel:Untröstliche Tröster

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Englands Flutschfinger-Torwart, Dänemarks Eigentorschütze, Serbiens Handspieler: Die Pechvögel bei der WM 2010 machen den Fußball sympathisch menschlich - weil sie eine Gemeinsamkeit haben.

Christoph Biermann

Simon Poulsen lächelte, als der Ball im eigenen Tor landete. Und der dänische Nationalspieler lächelte auch noch, als er den langen Gang durch den Bauch des Stadions Soccer City in Johannesburg entlang der Reporter aus aller Welt antrat. Aber warum lächelte er, wo doch sein Eigentor die 0:2-Niederlage gegen die Niederlande eingeleitet hatte. "Nein, ich habe nicht gelächelt, ich konnte einfach nur nicht glauben, was passiert war", sagte Poulsen und lächelte immer noch.

Ein Kapitel in der Geschichte der Torwartfehler: Algeriens Fawzi Chaouchi fragt sich, warum ihm der Ball durch die Hände gerutscht ist. (Foto: ap)

In jedem Stadion bei dieser Weltmeisterschaft ist eine sogenannte Mixed Zone aufgebaut, die eher ein Gatter ist, durch das alle Akteure des Spiels gehen müssen: vergnügte Gewinner und geknickte Verlierer, strahlende Torschützen, traurige Reservisten und jene, die gerade ein Stück Fußballgeschichte geschrieben haben, wie es niemand will. Für sie ist der Zickzack-Parcours entlang der Mikrofone und Notizblöcke eine Wegstrecke, die sich wie ein Marathon anfühlt, denn unterwegs sollen sie erklären, warum etwas schief gelaufen ist, das eigentlich niemals schief laufen durfte.

Köperteile mit Eigenleben

Es gibt unterschiedliche Strategien im Umgang damit, und Poulsen entschied sich dafür, dem Schicksal in Form einer holländischen Flanke begegnet zu sein. "Ich habe den Ball zu spät gesehen, es war einfach ein Missgeschick." Nun fand sich diesmal zwar kein Trainer oder Mannschaftskamerad, der wieder mal dem WM-Ball Jabulani die Schuld geben wollte, als sei er ein verhexter Gegenstand, der unschuldige Spitzenkicker wie Trottel aussehen lässt, aber meistens wissen sie es ohnehin selbst besser.

Der schweizerische Serbe Zdravko Kuzmanovic etwa war ein gebrochener Mann, als er im Spiel gegen Ghana den Gegner mit einem Handelfmeter und damit dem Siegtreffer beschenkte. Fünf Minuten vor Abpfiff pritschte er so unversehens wie ohne Not im Strafraum den Ball mit der Hand weiter. "Ich wollte mit dem Kopf spielen, aber die Hand ging ran", sagte er, und in sein Gesicht war immer noch der Schrecken darüber geschrieben, nicht die Befehlsgewalt über alle Körperteile zu haben. Denn offensichtlich hatte seine Hand in dieser Situation gemacht, was sie, aber nicht was Kuzmanovic wollte.

Untröstlich schlich der Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart weiter, und man hätte ihm in diesem Moment den Erfahrungsschatz eines Torhüters gewünscht. Deren Fehler führen fast immer zu Gegentoren, und so sind sie geübter im Umgang damit, haben doch selbst die Besten in wichtigen Situationen nicht immer gut ausgesehen. Man denke nur an Oliver Kahn beim WM-Finale 2002 gegen Brasilien, als sich nach Abpfiff sogar Schiedsrichter Pierluigi Collina zu einer ermunternden Geste aufgefordert sah.

Traurige Geschichte

Bei dieser Weltmeisterschaft haben sich bereits einige Torhüter in Situationen wiedergefunden, in denen sie entgeistert haltbaren Bällen hinterher schauen mussten. Gegen Italien flog Paraguays Keeper Justo Vilar unter einer Flanke durch, so dass seine Mannschaft ihren Vorsprung nicht ins Ziel brachte. Der algerische Torhüter Fawzi Chaouchi beschenkte Slowenien mit dem ersten Sieg der WM-Geschichte, und Robert Green schrieb die traurige Geschichte des englischen Torhüterproblems fort.

Nachdem er im Auftaktspiel der Engländer die USA bei deren Ausgleichtreffer großzügig bedachte, beschrieb er das Gefühl als einen "Tritt in die Eier". Ansonsten klang er aber so, als hätte er zu viele Taschenbücher über Persönlichkeitsschulung in der Bahnhofsbuchhandlung gekauft. Das man wieder aufstehen muss, durch Fehler nur stärker wird, und was da immer so behauptet wird.

Eines aber haben fast alle Pleitiers gemeinsam. Sie wollen über ihre Sprachlosigkeit ausführlich sprechen. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagte Poulsen und sprach so ausführlich weiter wie Kuzmanovic, Green und die meisten anderen. Während stolze Torschützen mitunter freundlich winkend vorbeilaufen oder unter gewaltigen Kopfhörern wortlos verschwinden, geben die neuen Helden der "Pleiten, Pech und Pannen"-Videos ausgiebig Auskunft. Ja, sie kratzen selbst die letzten Fremdsprachenkenntnisse zusammen, um sich nicht nur ihren Landsleuten, sondern möglichst der ganzen Welt zu erklären. Wir sollten ihnen dankbar sein, übernehmen sie doch eine wichtige Aufgabe. Scheinbar ganz oben, doch in Wirklichkeit an der Seite von uns Fehlbaren, sind sie die großen Tröster bei dieser WM.

© SZ vom 16.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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