Fußball: Werder Bremen:SV San Siro

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Der Leichtfuß Pizarro ist die Symbolfigur einer Bremer Elf, die Milan überwindet, aber gegen Cottbus verliert. Ist aus dem Nischenklub ein Divenhaufen geworden?

Christof Kneer

Ach ja, ein junger Spieler aus Peru sei übrigens auch noch verpflichtet worden, erzählten sie damals, im Juli 1999, in der Presseabteilung von Werder Bremen. Nein, kein bekannter Name sei das, Pizarro heiße der, Claudio Pizarro. Ein Stürmer, 20 Jahre alt, und ganz begabt, was man so höre. Aber nun wolle man doch wieder zum Thema des Tages zurückkehren, zu Julio Cesar, dem brasilianischen Verteidiger, auf dessen Verpflichtung man ganz besonders stolz sei. Für ein Jahr habe der 36-Jährige unterschrieben, und für weitere Details könne man sich gerne an den neuen Manager wenden, an Klaus Allofs.

Der stellvertretende Bremer: Claudio Pizarro (links) ist so gut, dass er den AC Mailand rausköpfeln kann, aber er tut das in einem Umfeld, das dem AC Mailand niemals ebenbürtig sein kann. (Foto: Foto: AFP)

"Ich kann mich gut an diesen Doppeltransfer erinnern", sagte Allofs am Freitag, ein knappes Jahrzehnt später, auf dem Mailänder Flughafen. Es waren Allofs' erste Personalien in Bremen. Kurz bevor Allofs bei Werder anfing, hatte der Klub ein paar Stürmer geholt, deren Namen heute zurecht vergessen sind; erinnern kann man sich nur noch an den Norweger Havard Flo, von dem Spötter bis heute behaupten, Werders Scouts hätten ihn verwechselt. Sie hätten Tore Andre Flo holen wollen, einen Spitzenstürmer.

Aus dieser finsteren Zeit stammt Claudio Pizarro, jener Stürmer, dem Bremen ein Jahrzehnt später einen ausgesprochen festlichen Abend verdankt. Der inzwischen 30-Jährige hat Werder nicht nur höchstpersönlich ins Achtelfinale des Uefa-Cups geköpft; ihm ist es auch zu verdanken, dass der kleinere Europapokal für einen Abend herrlich nach Champions League schmeckte. "Mein Gott, das war Milan! Und wir sind weiter!" jubilierte sogar Werders gerüchteweise stummer Finne Petri Pasanen nach dem 2:2 beim AC Mailand, das den Bremern nach dem 1:1 im Hinspiel das Viertelfinal-Duell mit dem AS St. Etienne sicherte.

Unbeschwertes Weiterstürmen

"Dieses Spiel hat bewiesen, was wir immer sagen: nämlich, dass die Elf nach wie vor Potenzial hat", sagt Klaus Allofs. Ihn hat es schon beeindruckt, wie die Mannschaft beschloss, diesen lästigen 0:2-Rückstand durch Tore von Pirlo (26., Elfmeter nach angeblichem Frings-Handspiel) und Pato (33.) einfach zu ignorieren. "Erst wurde uns ein Elfmeter verweigert, dann gab's einen umstrittenen Elfmeter gegen uns, und dann vergeben wir gute Chancen", sagt Allofs, "nach so einer unglücklichen Verkettung der Umstände kann man nicht unbedingt damit rechnen, dass die Elf einfach so zurückkommt."

Sie kam aber einfach so zurück - und wer ihr beim unbeschwerten Weiterstürmen zusah, wäre nie auf die Idee gekommen, dass im Grunde die ganze bisherige Saison eine Verkettung unglücklicher Umstände war. Nicht mal von ihrem Lieblingslaster, dem ausgiebigen Versemmeln großformatiger Torchancen, war die Elf an diesem Abend zu irritieren. Irgendwann erreichte Diegos Freistoßflanke Pizarro (68.), und kurz darauf hielt Pizarro den Kopf in eine Boenisch-Flanke (78.) - schon stand es zwei-zwei. Gegen Milan. In San Siro.

Klaus Allofs würde sich also sehr gerne freuen, aber es hat auf dem Heimflug auch Momente gegeben, da war er ein bisschen verstimmt. "Wenn man dieses Spiel gesehen hat, ist die Saisonentwicklung umso ärgerlicher", sagt er. Er hat die Elf seit 1999, seit den Havard-Flo-Tagen, wachsen und wachsen sehen, und er merkt am besten, an welch gefährlichem Punkt die Elf angelangt ist. Werder ist kurz davor, eine Galerie-Mannschaft zu werden, ein SV San Siro: eine Elf, deren Spitzenkräfte wie Pizarro oder Diego sich von der großen Bühne weiterhin zu großen Leistungen inspirieren lassen - die sich dann aber unbewusst schwer tun, den rechten Zugang für Bielefeld oder Cottbus zu finden.

In der Champions-League-Vorrunde war Werder nicht etwa am Favoriten Inter Mailand gescheitert, gegen den man vier Punkte holte - sondern an Famagusta (zwei Punkte) und Panathinaikos Athen (ein Punkt). "Etwas vereinfacht kann man das Problem vielleicht so darstellen", räumt Allofs ein, legt aber Wert darauf, dass aus dem tapferen Nischenklub nicht plötzlich ein Divenhaufen geworden ist.

Leichtfüße disziplieren, nicht zerstören

Als Pizarro kürzlich das Abschlusstraining verpasste, weil er nach einem freien Tag zu spät in Bremen landete, hat ihn Allofs fürs Cottbus-Spiel suspendiert, und dennoch versuchen sie sich in Bremen an dem Spagat, ihre Leichtfüße zu disziplinieren, ohne sie zu zerstören. "Die Spieler müssen begreifen, dass wir uns in einem hochprofessionellen Umfeld bewegen, in dem wir uns keine Schwäche erlauben dürfen", sagt Allofs einerseits. Andererseits sagt er: "Das ist alles nicht absichtlich oder bösartig, sondern einfach nur ein wenig leichtsinnig."

So ist Pizarro in gewisser Weise zum stellvertretenden Bremer geworden. Er ist so gut, dass er mal locker den AC Mailand rausköpfeln kann, aber er tut das in einem Umfeld, das dem AC Mailand niemals ebenbürtig sein kann. "Wenn bei Milan zwei Asse fehlen, dann spielen eben zwei andere Asse", sagt Allofs, "wenn bei uns Diego oder Pizarro gesperrt sind, stößt der Kader an seine Grenzen." Auch das war ja ein Geheimnis dieses festlichen Abends in San Siro: Das Offensivdreieck Pizarro/Diego/Özil war endlich wieder vollzählig zur Arbeit angetreten.

Wieviele Teile dieses Dreiecks die Bremer behalten dürfen, gilt als ungewiss. Diego zieht es auf die große Bühne, und Pizarro kommt ja gerade von dort, er ist vom FC Chelsea nur ausgeliehen. "Ob wir ihn kaufen können, hängt davon ab, was Chelsea plant und was wir in dieser Saison erreichen", sagt Klaus Allofs. Vom internationalen Geschäft trennen Werder in der Bundesliga schon neun Punkte - vielleicht wäre es doch besser, den Uefa-Cup zu gewinnen.

© SZ vom 28.02.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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