Fußball:Und Lukas nimmt sich den Ball

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Der österreichische Stürmer Lukas Hinterseer war Ingolstadts erster Bundesligatorschütze und ein Aufstiegsheld. Den Stammplatz muss er sich jedoch wieder erarbeiten. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Stürmer Hinterseer steht für die trotzige Stärke des FC Ingolstadt.

Von Sebastian Fischer

Es war eher unwahrscheinlich, dass die Fans des SV Werder Bremen ihrem Gastgeber ein Kompliment aussprechen wollten. Gerade wälzte sich Dario Lezcano nach einem Foul am Boden und sein Ingolstädter Mitspieler Pascal Groß schubste Bremens Stürmer Claudio Pizarro, da stimmten die Bremer Anhänger auf der Tribüne des Ingolstädter Fußballstadions ein Lied an, in dem sie den FCI mit dem Hamburger SV verglichen. Nun mögen Bremer den HSV nicht sonderlich, einerseits. Andererseits ist es für einen Aufsteiger in der ersten Bundesligasaison seiner Vereinshistorie ja nicht das Schlechteste, mit einem Klub verglichen zu werden, der noch nie woanders gespielt hat als in der ersten Liga. Man konnte es an diesem Samstag durchaus so deuten: Ingolstadt gehört richtig dazu. Und wird wohl auch so bald nicht wieder weg sein aus der Bundesliga.

Ralph Hasenhüttl hat das natürlich anders ausgedrückt am Samstagabend. Der Trainer des FC Ingolstadt ist zwar ein impulsiver Mensch, in den Einordnungen der Leistungen seiner Mannschaft allerdings lieber zurückhaltend. Auch wenn es ihm nach dem 2:0 gegen Werder, mit dem der FCI die Abstiegszone auf neun Punkte distanzierte, sichtlich schwerfiel. "So wie es aussieht", sagte er und hielt inne, "können wir, wenn wir so weiter machen . . ." - längere Pause -, ". . . die Hoffnung haben", kurze Pause, "dass wir auch nächstes Jahr Bundesliga spielen." Es ist ja so: Abstiegsszenarien klingen in Ingolstadt mittlerweile wie Verschwörungstheorien.

Das Spiel gegen schwache Bremer hatte mal wieder die typischen Ingolstädter Stärken aufgezeigt: Beharrlichkeit, Kampfeswille, Laufstärke, selbstloser Arbeitsfußball. Und es hatte eine Randgeschichte, die eben jene Stärken unterstrich: die Geschichte von Lukas Hinterseer.

Der österreichische Stürmer, 24, war Ingolstadts erster Bundesligatorschütze und ein Aufstiegsheld. Doch seit der Verpflichtung des Paraguayers Lezcano im Winter ist er kein Stammspieler mehr. Unter der Woche war über seine Unzufriedenheit berichtet worden. Er kam nach 71 Minuten für Lezcano, kämpfte, lief und arbeitete - und in der 90. Minute nahm er sich den Ball, als Robert Bauer im Strafraum gefoult worden war. "Hut ab, Kompliment an Lukas, dass er den Mut hat, den Ball zu nehmen. Das zeigt, dass der Junge nicht aufsteckt", sagte Torhüter Ramazan Özcan. Hinterseer schoss in die rechte Ecke, jubelte regungslos, wie es Stürmer machen, wenn es besonders trotzig aussehen soll. Doch dann musste er den Elfmeter wiederholen, weil ein Mitspieler zu früh in den Sechzehnmeterraum gelaufen war. Also lief Hinterseer nochmals an, schoss wieder in die rechte Ecke - und diesmal war ihm der Effekt egal: Er sank auf die Knie und schrie vor Freude. "Für ihn ist es wichtig, weil ein Stürmer von Toren lebt", sagte Hasenhüttl, einst selbst Stürmer.

Dass er ihn bald wieder häufiger aufstellt, ist trotzdem unwahrscheinlich. Denn Lezcano hat sich bereits nach wenigen Wochen erstaunlich gut an Hasenhüttls Pressing-System gewöhnt, Mathew Leckie ist aufgrund seiner Schnelligkeit und seiner bulligen Statur gesetzt, Moritz Hartmann ist mit fünf Saisontreffern bester FCI-Torschütze.

Tore sind immer noch ein selten eingestreutes Stilmittel im Ingolstädter Repertoire, noch immer ist der FCI mit 16 Toren die schwächste Offensive. Doch zur Not treffen eben die Verteidiger. Beim 2:1 gegen Augsburg vor zwei Wochen Marvin Matip, am Samstag Benjamin Hübner zum wegbereitenden 1:0. Der an Toren und überhaupt an Offensivgeist eher arme Ingolstädter Fußball könne nicht lange gut gehen, hatten noch zu Saisonbeginn viele geunkt, Hasenhüttl hat trotzdem nichts geändert, und ein bisschen stolz klang er dann schon am Samstag: "Eine gute Hinrunde, das kommt schon mal vor bei Aufsteigern. Eine gute Rückrunde, das ist nicht ganz so häufig", sagte er. So weit wie Mittelfeldspieler Roger wollte er aber nicht gehen. Der Brasilianer sagte angesichts des Vorsprungs auf die Abstiegszone, es wäre jetzt erlaubt, mal nach oben zu schauen in der Tabelle: "Warum nicht?"

Anders als die Fans hatte Bremens Geschäftsführer übrigens am Ende des Tages ein ernst gemeintes Lob für den FCI übrig. "Da fällt jeder sofort, da wird alles ausgenutzt, um das Spiel zu unterbinden", sagte Thomas Eichin, und es klang wie die übliche Lästerei über das provokante Spiel des Aufsteigers. Doch er fügte hinzu: "Das machen sie gut."

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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