Fußball:Sócrates: Ein Leben für den Fußball und die Demokratie

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São Paulo (dpa) - Sócrates starb an dem Tag, als sein Heimatverein Corinthians die brasilianische Meisterschaft gewann. Die Spieler ehrten ihr Idol, indem sie seine Geste beim Torjubel nachahmten: Sie reckten die geballte Faust nach oben.

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São Paulo (dpa) - Sócrates starb an dem Tag, als sein Heimatverein Corinthians die brasilianische Meisterschaft gewann. Die Spieler ehrten ihr Idol, indem sie seine Geste beim Torjubel nachahmten: Sie reckten die geballte Faust nach oben.

„Danke für die schönen Tore, die genialen Pässe, für den meisterhaften Fußball, den nur Sócrates so konnte. Obrigado, Doutor! (Danke, Doktor)“, verabschiedete sich Corinthians am 4. Dezember 2011 von Sócrates, der zwar nie einen WM-Titel für Brasilien gewann, sich aber bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien in die Herzen der Fans spielte.

Der in Belém geborene Sócrates Brasileiro Sampaio de Souza Vieira de Oliveira war im Mittelfeld-Dreamteam der Seleção der 1980er Jahre. Die Fantastischen Vier wurden sie genannt: Sócrates, Zico, Falcão und Toninho Cerezo. Die damalige Brasilien-Auswahl galt als eine der besten der Geschichte. Sócrates war ein Spieler aus einer anderen Generation, die wohl heute unter dem Zeitdruck, der Schnelligkeit und dem Kommerz des Fußballgeschäftes kaum noch vorstellbar wären.

Von seinen Mitspielern wurde er „Magrão“, der Magere, gerufen. Er trainierte wenig, rauchte viel und trank über die Maßen. „Ja, ich war Alkoholiker, wenn ich wollte. Wer täglich Alkohol trinkt, ist Alkoholiker. Ich war abhängig vom Alkohol, habe aber nicht jeden Tag getrunken“, gestand er 2011. Wenig später starb er in São Paulo in einem Krankenhaus an den Folgen eines septisches Schocks und multiplem Organversagen im Alter von 57 Jahren. Die Ärzte hatten kurz zuvor eine Leberzirrhose festgestellt.

Er lebte stets auf der Überholspur. Sein Charisma und sein Engagement brachten ihm bei den Corinthians-Spielern viel Respekt ein. „Es war witzig. Wenn wir in den Umkleideräumen von Corinthians diskutierten, sprachen alle durcheinander und keiner kam zu einem Schluss. Dann, plötzlich, öffnete Sócrates den Mund, und alle hörten zu und waren sich einig“, erinnerte sich der frühere Corinthians-Tormann Sollito an eine typische Szene. Sócrates machte für Corinthians 297 Spiele und schoss dabei 172 Tore.

Er war Anfang der 1980er Jahre auch eine Schlüsselfigur der „Democracia Corintiana“, die in dem Club basisdemokratische Strukturen einführte, bei denen Spieler per Abstimmung wichtige Entscheidungen wie Aufstellungen und Neuverpflichtungen selbst trafen. Eine Revolution in Brasiliens Fußball-Landschaft. Sócrates war politisch links und auch in der Demokratiebewegung „Diretas Já“ aktiv, die zum Ende der Militärdiktatur (1964-1985) für eine Direktwahl des Präsidenten kämpfte. Für Kuba hegte er große Sympathie: „Ich würde gerne Kubaner sein“, sagte er einmal.

Im Nationaltrikot bestritt Sócrates 63 Spiele, in denen er 25 Tore schoss. Für den Fußballverband bleibt der Ex-Mannschaftskapitän einer der „brillantesten Spieler der Geschichte der brasilianischen Seleção“. Er war sicher auch einer der schillerndsten Spieler. Sein Lebenswandel war nur sehr bedingt vorbildlich.

Vor der Abreise 1984 nach Italien, wo der 1,92-Meter-Mann kurze Zeit für Florenz spielte, trank er einmal während eines Interviews große Mengen Bier und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Auf die Frage, ob dies angemessen für einen Athleten sei, sagte er mit einem Lächeln: „Ich bin kein Athlet. Ich bin Fußball-Künstler.“

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