Fußball-Bundesliga:Verirrte Karriere

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Erst verletzt, dann vertröstet, schließlich fast vergessen: Der ehemalige Nationalspieler Sidney Sam hofft im Alter von 28 Jahren auf einen Neustart beim FC Schalke 04.

Von Philipp Selldorf

Wenn sich am Montag die Lizenzspieler des FC Schalke 04 zum ersten Training nach der Sommerpause versammeln, bedeutet das nach der Auffassung eines Beteiligten den Beginn einer neuen Ära in Gelsenkirchen. Diese kühne Interpretation eines doch eher gewöhnlichen Vorgangs stammt nicht von geltungsbedürftigen Mitgliedern des Schalker Vorstands oder Vertretern der Marketingabteilung, und schon gar nicht stammt sie vom neuen Trainer Markus Weinzierl, der mit großen Worten sparsam umzugehen pflegt. Sie stammt von einem Mann, der ebenfalls noch nicht durch Sprüche aufgefallen ist, und von dem möglicherweise viele Schalker gar nicht wissen, dass er noch zur Familie gehört.

Sidney Sam, 28, wird garantiert pünktlich zur Stelle sein, wenn Weinzierl mit seinem neuen Team die Arbeit aufnimmt. Neuer Trainer, neuer Manager, neue Saison - nicht nur Schalke und seine Anhänger erhoffen sich davon neues Glück, auch Sam glaubt an einen neuen Anfang. "Wie gesagt", verkündet er, "es ist eine neue Ära." Seine alte Ära in Gelsenkirchen möchte er lieber begraben und vergessen.

In den vergangenen zwei Jahren hätte es, gelinde gesagt, deutlich besser laufen können für den ehedem hochgehandelten Fußballprofi Sidney Sam. Wäre es so gut gelaufen wie in der Saison 2013/14, dann würde sich Sam jetzt nicht zum Karriereneustart in Gelsenkirchen einfinden, sondern er wäre mit der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft. Einen richtigen Flügelstürmer könnten sie dort gut brauchen, und vor zweieinhalb Jahren gehörte Sam ja nicht bloß zum erweiterten Kader des DFB-Teams, sondern zur erweiterten Stammelf. "Jogi Löw hat mir das Gefühl gegeben, dass ich dazugehöre", erinnert er sich mit Wehmut. Nachdem er während der Rückrunde, damals noch bei Bayer Leverkusen beschäftigt, ein paar Verletzungspausen einlegen musste, schaffte es Sam aber nicht in den WM-Kader für Brasilien. Löw rief ihn an und teilte ihm die Entscheidung mit. Nach dem Turnier wurde Sam noch einmal berufen, dann riss der Kontakt ab. Seitdem schickt Sam hin und wieder eine Glückwunsch-SMS an den Bundestrainer. Er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er wiederkommen darf.

Pünktlich zur Stelle beim Trainingsauftakt der Schalker: Sidney Sam will sich dem neuen Trainer Markus Weinzierl empfehlen. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Die Geschichte von Sidney Sam in Schalke ist einerseits die Geschichte einer verirrten Karriere und andererseits eines dieser typischen Exempel von fahrlässiger Kapitalvernichtung, wie sie im Profifußball immer wieder vorkommen. Sam wechselte im Sommer 2014 dank einer Ausstiegsklausel nach Schalke, Manager Horst Heldt erhielt dafür viele Komplimente: Der Marktwert des Angreifers betrug zehn Millionen Euro, als Ablöse waren lediglich 2,5 Millionen fällig. Sam bekam einen gut dotierten Vierjahresvertrag. Aber kaum hatte er den Dienst angetreten, brachen die üblichen Schalker Debatten aus. Trainer Jens Keller musste gehen. Unter Keller hatte Sam gespielt, unter dem Nachfolger Roberto Di Matteo kam er, auch verletzungsbedingt, immer seltener zum Einsatz. Di Matteo sei "menschlich super" gewesen, sagt Sam, "aber taktisch war er ein Italiener". Die Defensive hatte Vorrang.

Für Sam war es keine gute Einstandssaison, und sie wurde noch viel schlimmer. Schalkes Team geriet unter Di Matteo völlig aus der Spur, nach einer peinlichen Niederlage in Köln suspendierte der Klub den mutmaßlichen Unruhestifter Kevin-Prince Boateng, im gleichen Handstreich schickte Heldt auch Sidney Sam in den Zwangsurlaub - obwohl dieser gar nicht dem Kader fürs Köln-Spiel angehört hatte. Heldts Begründung für die Verbannung: "Negative Einstellung" bzw. "schlechte Aura". Sam verstand zwar nicht, was damit gemeint sein sollte ("ich habe ja nie etwas Böses getan"), aber er nahm es erst mal hin.

Doch niemand kümmerte sich mehr um ihn, Heldt hatte genug mit der Entlassung von Di Matteo, der Suche nach dem nächsten Trainer und dem widerspenstigen Boateng zu tun. Abgesehen davon, dass er seine eigene Entlassung abzuwenden suchte.

Zur neuen Saison wurde Sam wieder eingereiht in Schalke, "begnadigt", wie es in der Boulevardpresse standardmäßig hieß, als ob er ein Übeltäter wäre, der im Gefängnis gesessen hatte. Ein Wechsel zur Frankfurter Eintracht war zuvor nicht zustande gekommen, weil er beim Medizincheck auffällige Werte aufwies - was aus Kreisen des Frankfurter Aufsichtsrates prompt an die Medien lanciert wurde. Dem Ruf des Spielers hat das logischerweise nicht genutzt, woran auch das gegenteilige Attest seines Leverkusener Vertrauensarztes nicht viel änderte.

Unter André Breitenreiter geriet Sam noch mehr an den Rand. Er trainierte, verhielt sich professionell, aber er spielte nicht. Das Verhältnis mit dem Trainer sei "sehr oberflächlich" gewesen, sagt er, und die Verantwortlichen im Verein hatten auch gerade wieder anderes zu tun, als den kostbaren Posten im Spielerkader zu pflegen und zu mobilisieren. Sportchef Heldt sah der Ablösung entgegen, niemand - er selbst am wenigsten - wusste, wie lang er noch bleiben würde. Sam suchte das Gespräch mit dem Noch-Manager, dieser sagte ihm: "Trainier' so weiter." In der Winterpause suchte er das Gespräch mit Breitenreiter. Dieser sagte ihm: "Bleib' dran, bleib' dran." Aber aufgestellt hat er Sam nicht. Binnen der zwei Jahre auf Schalke ist sein (inoffizieller) Marktwert von zehn auf zwei Millionen Euro gesunken.

Sidney Sam hat den Glauben an seinen sportlichen Wert dennoch nicht verloren: "Ich denke, dass ich immer noch einer der besten Flügelstürmer der Liga bin, und auch in Schalke brauche ich mich vor keinem zu verstecken", sagt er. Eine beachtliche Ansage für einen Mann, der nicht zu großen Worten neigt und lange zu seinem Los geschwiegen hat.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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