Fußball:«Aufgepasst, Tschenscher»: Schiedsrichter-Ikone wird 85

Lesezeit: 2 min

Reilingen (dpa) - Auf einmal wird die kräftige Stimme von Kurt Tschenscher, der am Samstag 85 Jahre alt wird, ein wenig leiser. Es ist der Augenblick, in dem der frühere FIFA-Schiedsrichter über die Verabschiedung Pelés spricht.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Reilingen (dpa) - Auf einmal wird die kräftige Stimme von Kurt Tschenscher, der am Samstag 85 Jahre alt wird, ein wenig leiser. Es ist der Augenblick, in dem der frühere FIFA-Schiedsrichter über die Verabschiedung Pelés spricht.

Am 18. Juli 1971 bestritt das große Fußball-Idol vor 173 000 Zuschauern im Maracanã-Stadion gegen Jugoslawien sein letztes Länderspiel für Brasilien - und schenkte dem Unparteiischen anschließend sein Trikot. „Das habe ich heute noch“, sagt Tschenscher fast ehrfürchtig. Mehr als 42 Jahre ist das nun her.

Der noch rüstige, 1928 im oberschlesischen Hindenburg (Zabrze) geborene Ruheständler gilt als einer der besten Schiedsrichter, die der deutsche Fußball hervorgebracht hat. Dabei würde er das Erlebnis mit Pelé nicht einmal als das schönste seiner Laufbahn bezeichnen - er hat zu viel erlebt, um ein einzelnes hervorzuheben. „Das waren alles schöne Ereignisse“, sagt Tschenscher der im badischen Reilingen nahe Heidelberg lebt, und zählt einige auf.

Er war der Schiedsrichter, der 1963 vor der Einführung der Bundesliga das letzte Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln pfiff. Neben zwei Europapokalendspielen leitete er auch das legendäre DFB-Pokalfinale 1973 zwischen Mönchengladbach und Köln, in dem sich Günter Netzer in der Verlängerung selbst einwechselte und Gladbachs Siegtor schoss.

Zudem zückte Tschenscher 1970 beim WM-Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Mexiko und der UdSSR die erste Gelbe Karte der Fußball-Geschichte und ist der einzige Referee der Welt, der an drei Weltmeisterschaften teilnahm. Es verwundert daher nicht, dass er 1975 das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt. Das alles seien „Erinnerungen, die bleiben“, betont Tschenscher.

Sein Erfolgsgeheimnis sei seine Spielleitung gewesen, „meine klare Auffassungsgabe über das Regelwerk und mein Durchsetzungsvermögen“, erzählt er. Man müsse als Schiedsrichter eine Respektsperson sein. Wenn es hieß, der Tschenscher kommt, dann hätten die Profis gesagt: „Oh Männer, aufgepasst!“ Daher wundert er sich heute manchmal, wie sich die Chefs mit der Pfeife gelegentlich anschreien lassen. „Man muss den Spielern Einhalt gebieten, mich konnte keiner anmotzen“, betont Tschenscher.

Und wenn er derzeit die Diskussionen über die Frage „Hand oder nicht?“ höre, könne er über „das Theater“ nur noch lachen. Denn die Regel habe sich im Vergleich zu seiner Zeit nicht groß geändert. Die Frage sei stets: Absicht oder nicht? „Ich sage manchmal, die Schiedsrichter machen zu viele Lehrgänge. Die wissen am Schluss überhaupt nicht mehr, was sie machen sollen“, sagt das frühere Mitglied des DFB-Schiedsrichterausschusses.

Er will seine Nachfolger auch nicht in Schutz nehmen, nur weil der Druck vor großem Publikum hoch ist. „Ich kann nicht Elfmeter pfeifen, weil 60 000 Zuschauer Hand schreien. Als Persönlichkeit stehe ich da drüber.“ Auch er habe Fehler gemacht, weil das bei Menschen eben so sei. Ein so grober Patzer wie der des Uruguayers Jorge Larrionda, der das „Wembley-Tor“ des Engländers Frank Lampard im WM-Achtelfinale 2010 gegen Deutschland nicht anerkannte, blieb ihm jedoch erspart.

Beneidenswert findet Tschenscher heute die Bezahlung der Schiedsrichter. „Das hätte ich auch gerne gehabt.“ Während in der Bundesliga mehrere Tausend Euro pro Partie bezahlt werden, habe man zu seiner Zeit „für einen Appel und ein Ei“ gearbeitet. Eines scheint für den früheren stellvertretenden Leiter des Sport- und Bäderamts in Mannheim aber kaum mit Geld aufzuwiegen: Pelés Trikot.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: