Fußball:Abramowitsch freut sich

Lesezeit: 3 min

Der FC Chelsea gewinnt die Europa League, aber die Zukunft des Klubs ist ungewiss. Hazard forciert seinen Abschied, Trainer Sarri ist umstritten, und der russische Klubbesitzer kriegt kein Visum für London.

Von Sven Haist, Baku/London

Gemeinsam stemmten der Chelsea-Kapitän Gary Cahill und sein Stellvertreter César Azpilicueta den Pokal der Europa League in die Luft. Die Trophäe bewegte sich kurz wie beim Tauziehen hin und her, bis Azpilicueta stärker nach rechts zog als sein Mitspieler nach links ziehen konnte. Bevor Cahill, der zuletzt nur noch Ersatz war und den Klub nach sieben Jahren verlässt, die Chance hatte zum Gegenangriff, sicherte sich Maurizio Sarri den Pokal - wie das so ist, wenn zwei sich streiten. Ihm konnte es nicht schnell genug gehen, die Hand an die Trophäe zu bekommen. Sie ist die erste für ihn in seinen mittlerweile 29 Trainerjahren.

Als wolle sich Sarri dafür belohnen, im Verlauf der Saison jede kleinere und größere Gemeinheit des Klubs und des Teams gegen sich überwunden zu haben, packte der kettenrauchende Neapolitaner bei den Feierlichkeiten in aller Öffentlichkeit eine prächtige Zigarre aus. Am nächsten dran stand Mittelfeldmann Ross Barkley, dem vor Staunen der Mund offenblieb. Dem freudigen Gesichtsausdruck nach könnte Sarri die Zigarre noch etwas mehr zugesagt haben als die Trophäe, wobei er sich das gute Stück aufhob und sich im Stadion zunächst bloß eine Zigarette anzündete. Vermutlich zur Beruhigung nach dem 4:1 im Finale über den FC Arsenal, dem neuerliche Spekulationen über seine Demission bei Chelsea (trotz Vertrags bis 2021) und einen Wechsel zu Juventus Turin vorausgegangen waren. Auf der Pressekonferenz später, zu der Sarri erstmals seit seiner Vorstellung vor einem Jahr im feinen Zwirn statt im Trainingsanzug erschienen war, erklärte er: "Ich verdiene es, bei Chelsea zu bleiben, aber meine Meinung genügt nicht."

1 / 4
(Foto: Phil Noble/Reuters)

Jubel nach der Entscheidung: Eden Hazard feiert sein zweites Tor des Abends zum 4:1 für Chelsea.

2 / 4
(Foto: Phil Noble/Reuters)

Es ist Europa League und keiner geht hin: Gary Cahill und César Azpilicueta stemmen den Pokal vor leeren Rängen in die Höhe.

3 / 4
(Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Nicht hinschauen: Mesut Özil verpasst am Ende einer enttäuschenden Saison die letzte Chance auf einen Titel deutlich.

4 / 4
(Foto: Lee Smith/Reuters)

Abschied von Eden: Maurizio Sarri umarmt seinen wichtigsten Offensivspieler Hazard, der zu Real Madrid wechseln möchte.

Sein hemdsärmeliges Auftreten, das so gar nicht zum oft snobistischen Chelsea passen mag, bildete den Kontrast zu diesem unwirklich anmutenden Endspiel in Baku am Kaspischen Meer. Das Fernsehen präsentierte das Finale oft aus der Vogelperspektive, was - unterlegt von monotoner Geräuschkulisse - an ein Videospiel erinnerte. Kein Wunder, angesichts der vielen leeren Plätze. Um sich der Echtheit des Ereignisses zu versichern, hätten die Fans beider Klubs die 4000 Kilometer lange Anreise aus London auf sich nehmen müssen, was nach optimistischen Schätzungen nur gut 5000 taten. Und so wirkte das erste rein englische Finale im Europapokal seit elf Jahren oft etwas trostlos. Einzig Roman Abramowitsch dürfte die Wahl des Endspiel-Standorts erfreut haben.

Seit dem Clinch über die Ausstellung seines Visums für Großbritannien im vergangenen Sommer hat Abramowitsch darauf verzichtet, sich ein Pflichtspiel von Chelsea anzusehen. Am Mittwoch ließ sich der russische Oligarch und Chelsea-Besitzer mal wieder auf einer Ehrentribüne blicken und passte hinterher am Stadionausgang jeden Spieler ab. Als einer der letzten schlenderte ihm Eden Hazard entgegen, der sich zuvor, bei seiner Ehrenrunde, scheinbar von allen verabschiedete.

Der offenkundige Plan des belgischen Ausnahmekönners: dem Klub klarzumachen, dass er seine Zeit bei Chelsea trotz eines für eine weitere Saison gültigen Arbeitsverhältnisses für beendet ansieht. Mit zwei Toren (65./72.) sowie einer Vorlage für Pedro (60.) dürfte Hazard seinen Chef Abramowitsch einerseits gütig gestimmt haben. Nun will er die Genehmigung für sein Wechselvorhaben zu Real Madrid erhalten. Im Raum steht eine Ablöse in Höhe von 130 Millionen Euro inklusive Bonuszahlungen. "Ich denke, es war ein Goodbye, aber im Fußball weiß man nie", sagte Hazard: "Es kommt auf die Vereine an. Ich warte genauso wie die Fans." Die Antwort von Abramowitsch? So wie immer: Er schwieg.

Andererseits: Die Blues sind bekannt dafür, sich Transfers von nichts und niemandem diktieren zu lassen. Hinzu kommt, dass der Klub seinen schmalen Kader aufgrund einer Transfersperre für die nächste Spielzeit nicht verstärken darf. Dass Chelsea den Verlust des 28 Jahre alten Linksaußen schwer verkraften könnte, das hatte der Abend in Baku vorgeführt. Und nicht nur der: Mit 21 Toren und 17 Assists war Hazard verantwortlich für den dritten Platz in der Premier League und die ungeschlagene Runde in der Europa League, den Erfolg gegen Eintracht Frankfurt inklusive. Auch an Hazards Ausnahmeform war Arsenal gescheitert.

Durch seine vierte europäische Finalniederlage in Serie hat der FC Arsenal, der in der Premier League bloß auf Rang fünf ins Ziel gekommen war, zum dritten Mal in Serie die Champions League verpasst. Der Spielverlauf nach dem Rückstand durch den sehenswerten Kopfball des Ex- Gunners Olivier Giroud (49.) offenbarte die fehlende Wettkampfhärte von Arsenal, selbst nach dem zwischenzeitlichen Anschlusstreffer von Alex Iwobi (69.) gab es direkt wieder ein Gegentor. Bei seiner Auswechslung schlich der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil mit gesenktem Haupt vom Platz; Özil, der nach wie vor für die Spielkunst des Klubs steht - aber halt nur, bis Widerstand einsetzt.

In der Phase der Neuausrichtung bei Arsenal - nach dem Abschied der Trainerlegende Arsène Wenger in der Vorsaison, nach 22 Jahren - präsentiert sich die Mannschaft unter dem baskischen Trainer Unai Emery manchmal ähnlich führungslos wie die Vereinsleitung, in der strategische Posten nicht besetzt sind. Das Verpassen der Königsklasse drückt, neben finanziellen Einbußen, auch auf die Strahlkraft des Vereins für potenzielle Zugänge. In dem renommierten Torwart Petr Cech, der gegen seinen ehemaligen Klub das letzte Pflichtspiel seiner Karriere absolvierte, verliert die Mannschaft jetzt auch noch ihren Charakterkopf.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: