French Open:Bälle wie Felsbrocken

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Für die Spieler sind die Bedingungen bei den French Open anspruchsvoll. Traditionell haben die Deutschen Schwierigkeiten sich anzupassen.

Von Philipp Schneider, Paris

Am Sonntag sind die French Open in die zweite Woche gestartet, zu diesem Anlass gab es zwei Überraschungen. Der Kanadier Milos Raonic, Neunter der Weltrangliste, verlor sein Achtelfinale gegen den Spanier Albert Ramos-Vinolas in drei Sätzen. Nicht lange dauerte es, da machten die ersten bösen Gerüchte die Runde in Roland Garros, Raonic habe halt die ersten Tipps des dreimaligen Wimbledon-Siegers John McEnroe erhalten, der tags zuvor bekanntgegeben hatte, er werde den Kanadier ab der nun anstehenden kurzen Rasensaison als Berater zur Seite stehen. Die zweite Überraschung war, dass es trotz mal wieder sehr düsterer Wettervorher- sagen halbwegs trocken blieb.

Die französischen Zuschauer kommen traditionell gut klar, wenn es tagelang aus dunklen Wolken schüttet über dem Bois de Boulogne. Am Samstag fegte ein schweres Unwetter über Paris, das die gepflasterte Tennis-Anlage fast ertränkte. Die Franzosen liefen nicht nach Hause, sie flüchteten in die wasserdichten Gänge unter der Betonschüssel des Court Philippe Chatrier. Länger als zweieinhalb Stunde drängten sie sich dort, Rücken an Rücken, Fuß an Schirm, viele lachten, und manche sangen sogar Lieder.

Es ist nicht überliefert, ob Serena Williams ein kleines Chanson geträllert hat in ihrer Kabine, als sie während der Regenpause darauf wartete, dass sie den finalen Tie-Break in ihrem Match gegen Kristina Mladenovic spielen durfte. Für die Spieler sind die Bedingungen bei den French Open anspruchsvoll; sie müssen ihr Material, ihre Bespannung an Kälte und Feuchtigkeit anpassen. Und traditionell haben insbesondere die Deutschen große Schwierigkeiten in der oft feuchten Terre Battue von Paris. "Es ist kurios", sagt die Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner: "Wir Deutschen werden auf Sandplätzen groß. Aber über- raschend selten spielen wir bei den French Open besser als erwartet."

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(Foto: Thomas Samson/AFP)

"Es ist schade und bitter": Philipp Kohlschreiber nach dem 7:5, 2:6, 2:6, 4:6 gegen den Spanier Nicolas Almagro, die Nr. 49 der Weltrangliste.

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(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

"Es wird einige Tage brauchen, das zu vergessen": Angelique Kerber nach dem 2:6, 6:3, 3:6 gegen die Niederländerin Kiki Bertens.

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(Foto: Alastair Grant/AP)

"Ich habe noch in allen Bereichen Möglichkeiten, mich zu verbessern": Alexander Zverev nach dem 7:6, 3:6, 3:6, 3:6 gegen Dominic Thiem aus Österreich.

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(Foto: Julian Finney/Getty Images)

"Ich will weiter positiv denken und eine Trotzreaktion zeigen": Andrea Petkovic nach dem 2:6, 2:6 gegen Julia Putinzewa aus Kasachstan.

Boris Becker hat 49 Turniere gewonnen, darunter sechs Majors, aber niemals das in Paris. Es gibt diese schöne Geschichte, wie sich Becker 1995 an einem Regentag gegen den Qualifikanten Adrian Voinea nach vier Sätzen aus der dritten Runde werfen ließ. Vier Stunden, maulte Becker danach, habe er in der Umkleidekabine gesessen, "und als ich dachte, ich könnte endlich ins Hotel, haben sie uns gerufen und gesagt, dass wir raus müssen". Schon beim Aufwärmen mit Voinea ahnte Becker, dass an diesem feuchten Tage "die gelben Bälle braun werden, schwer und groß". Becker prügelte die braunen Riesenbälle mit ganzer Wucht übers Netz, doch Voinea "drehte sich einmal und passierte mich trotzdem". Becker packte daraufhin seine Tasche und kehrte nie wieder zurück nach Roland Garros.

Andrea Petkovic klang vor ihrem fehlerhaften 2:6, 2:6 gegen die Kasachin Julia Putinzewa beim Philosophieren über den steten Wechsel der klimatischen Bedingungen ein wenig wie Becker. "Wenn man den Ball nicht voll geschlagen hat, kam wirklich nichts raus." Wenn der Regen fällt, werden in Paris die Plätze mit Planen verhüllt. Aber die Feuchtigkeit krieche trotzdem in den Sand, erzählte Petkovic. Und auch die Bälle sind ein schwieriges Thema: "Sie passen sich hier unheimlich den Begebenheiten an", findet Petkovic. "Wenn es heiß ist, werden sie wie ein Stein, richtig, richtig schnell. Und wenn es kalt ist, dann werden die auch wie ein Stein, aber in anderer Form. Nicht wie ein kleiner Stein, sondern wie ein Felsbrocken." In der Kälte der ersten Tage hat Petkovic ihre Bespannung um ein Kilogramm reduziert. Dann wurde es kurz wärmer. Und Petkovic verlor.

17 Deutsche standen in Paris im Hauptfeld. Zehn Frauen, sieben Männer. Am Samstag schied Alexander Zverev als letzter der 17 in der dritten Runde aus gegen Dominic Thiem, den erfolgreichsten Sandplatzspieler des Jahres. Der erste Auftritt des 19-jährigen Hamburgers in Roland Garros war aus deutscher Sicht der einzige Lichtblick in den düsteren Tagen von Paris. "Überragend" sei Zverevs Auftritt gewesen, lobt Davis-Cup-Chef Michael Kohlmann. Historisch betrachtet entspricht die deutsche Bilanz keiner Katastrophe, doch ist sie erstaunlich: Zum ersten Mal seit 2010 erlebt kein Deutscher in Paris die zweite Woche. Dass "diese French Open für alle Beteiligten enttäuschend waren", sagt Rittner, habe sie allerdings "wegen der individuellen Vorgeschichten nicht überrascht".

Nicht jeder Spieler, der in der ersten Runde ausschied, hat sich schlecht präsentiert. Jan-Lennard Struff beispielsweise hat in Paris einen gründlichen Tennisunterricht von Jo-Wilfried Tsonga erhalten. In der ersten Runde auf dem Court Central gegen den Weltranglistensiebten Franzosen spielen zu müssen, bedeutet die Höchststrafe. Tsonga sieht aus wie ein Bär, verhält sich physikalisch aber wie eine Wand. Alles prallt ab an ihm. "Tsonga war ein bitteres Los", sagt Kohlmann, "Struffi spielt Powertennis, aber Tsonga macht das nichts aus." Der Rasenspezialist Dustin Brown erreichte in Paris erstmals die zweiten Runde, reiste ab mit 60 000 Euro Preisgeld und freut sich jetzt auf Wimbledon. Philipp Kohlschreiber hatte das Pech, dass ihm Nicolás Almagro zugelost wurde, ein dreimaliger Viertelfinalist bei den French Open. Annika Beck wiederum ist noch nie weitergekommen als bis in die dritte Runde, die sie nun wieder erreichte. Und Julia Görges verliert halt immer irgendwann, diesmal aber besonders unglücklich.

Für die großen deutschen Dramen sorgten daher Angelique Kerber, Sabine Lisicki und Andrea Petkovic. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Petkovic befindet sich nach einigen melancholischen Schüben in der x-ten Umbruchphase. "Sie macht sich viel zu viele Gedanken auf dem Platz", sagt Rittner. Ähnlich wie Lisicki, die noch immer zwei Trennungen in ihrem Leben aufarbeiten muss, von Trainer Christopher Kas und von Fernsehclown Oliver Pocher. Und nach dem Erstrunden-Aus von Angelique Kerber weiß einer nicht so genau, ob die Australian-Open-Siegerin unter der tonnenschweren Last der medialen Aufmerksamkeit kollabierte oder nur "gehandicapt war von ihrer Schulter", wie Rittner sagt. "Wenn Angie die erste Runde übersteht, beginnt für sie das Turnier erst richtig." Im feuchtkalten Paris war es da dieses Mal schon vorbei.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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