Freiburger Evaluierungskommission:Entnervt von den Behinderungen

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Die Freiburger Doping-Kommission gibt ihre Aufklärungsarbeit auf, die Universität findet dagegen: ein "Rücktritt ohne Grund".

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Freiburg/München

In der Sportmedizin ist der Ermüdungsbruch ein fester Begriff, oft tritt er bei Athleten ein, die in ihrer Disziplin immerzu dieselbe Körperregion strapazieren müssen. Einen schweren Ermüdungsbruch hat nun auch die nationale Dopingbekämpfung zu beklagen: Die mit führenden Fachleuten besetzte "Unabhängige Evaluierungskommission zur Freiburger Sportmedizin" hat am Dienstag ihren Rücktritt erklärt. Es ist das Ende eines oft bizarren, über Jahre hinweg zermürbenden Kampfes um die Aufhellung der dunklen Freiburger Dopinghistorie. Eines erbitterten Kampfes, dessen Ende das Uni-Rektorat so kommentierte: "Rücktritt ohne Grund - wissenschaftliche Aufklärungsarbeit muss weitergehen".

Eingedenk der Vorgänge erscheint das als eher kühne Betrachtungsweise. Bis in die Vorwoche hatte die Kommission eindringliche Schreiben an die Universität geschickt, sie hat auf ihre Unabhängigkeit gepocht und ein Ultimatum gestellt - aber das erwartete Signal war ausgeblieben. Die Reaktionen der Gegenseite empfanden die Mitglieder des Aufklärer-Gremiums, wie so oft während ihrer jahrelangen Arbeit, als ungenügend. Nun erfolgte der große Knall: Bis auf die Vorsitzende Letizia Paoli erklärten alle Kommissionsmitglieder ihren Rücktritt. Paoli dürfte den Schritt ihrer Mitstreiter jedoch gutheißen.

Die Aufklärungsarbeit ist damit vorläufig beendet. Zudem ist zu registrieren, dass hohe Institutionen in Deutschland einmal mehr als Blockierer auffallen, wenn es um die Frage geht, wie raffiniert und weitreichend Manipulationen in der national stets besonders bedeutenden Leibesübung abliefen - und wie groß der Kreis der Mitwisser in Sport, Medizin und vor allem auch der Politik dabei war.

Die Breisgau-Region im südlichen Sommerwinkel der Republik wurde stets als Wohlfühloase wahrgenommen. Umso heftiger war der Schock im einstigen "Musterländle", als im Zuge internationaler Dopingenthüllungen der Stolz der Stadt, die angehende Exzellenz-Uni, in den Affärenstrudel geraten war; 2007 musste eine Kommission ihre Arbeit aufnehmen (siehe Chronik). Anlass zu Zweifeln am unbedingten Aufklärungswillen lieferten bald nicht nur die Beteiligten in Politik und Justiz; auch die Kommissionäre beklagten früh ein Defizit an Unterstützungsbereitschaft seitens der Universität. Richtig publik wurde das, als just die Materialien zu den beiden Hauptakteuren verschwunden waren. Fünf Kisten mit der Geschäftskorrespondenz des langjährigen Breisgauer Chef- und Olympiaarztes Joseph Keul waren über Jahre im Privatdomizil einer juristischen Mitarbeitern sicher vor dem Zugriff der Aufklärer verstaut. Und behördliche Unterlagen zu Armin Klümper tauchten zufällig in einem Außenlager der Staatsanwaltschaft auf; auch da lief schon ein Ultimatum der Paoli-Gruppe. Nie konnten die Aufklärer gewiss sein, über alle notwendigen Informationen zu verfügen, die es für eine Aufarbeitung der intensiven Freiburger Dopingvergangenheit braucht. Im Frühjahr 2015 legten Turbulenzen um das Kommissionsmitglied Andreas Singler (schied bald danach aus) den Eindruck nahe, dass auch gezielte Spaltungsversuche zum Repertoire der nun offenkundig verfeindeten Parteien gehörten.

Warum war der Widerstand so groß? Weil die Kommission über Dopingthemen hinaus arbeitete?

Trotz starker Gegenwinde existierte die Kommission fort - bis zum Ermüdungsbruch am Dienstag. Der Rücktritt erfolgte, weil die Experten ihre Unabhängigkeit nicht gewährleistet sahen und für den anstehenden Abschlussbericht eine Zensur befürchteten: etwa, indem Passagen ihrer Gutachten vor der Publizierung geschwärzt oder Zeitzeugenberichte gekürzt werden könnten. "Wir bedauern sehr, so kurz vor Abschluss abbrechen zu müssen. Aber wir können im Sinne einer wahrhaftigen Aufklärung keine Kompromisse eingehen", schrieb der stellvertretende Kommissionschef Hellmut Mahler vom LKA Düsseldorf in einer gemeinsam Erklärung mit den Kollegen Hans Hoppeler (Bern), Perikles Simon (Mainz), Fritz Sörgel (Nürnberg) und Gerhard Treutlein (Heidelberg).

Ein "Rücktritt ohne Grund", hält die Uni dagegen. Die wissenschaftliche und inhaltliche Unabhängigkeit sei nie infrage gestellt worden, das entbinde die Kommissionäre aber nicht von den "rechtlichen Rahmenbedingungen". Zugleich kündigt die Uni die Einrichtung einer Forschungsstelle Sportmedizin an. Szenebeobachter sind nun gespannt, obdiese dem 2015 ausgeschiedenen Komissionsmitglied zufällt.

Bedeutsam wird die Frage, wie mit den fast fertigen Ergebnissen der Kommission verfahren wird. Formal sind alle Mitglieder bis auf Paoli zurückgetreten. Die Mafia-Expertin hat einen besonderen Status: Zwischen ihrer Universität in Leuwen/Belgien und Freiburg gibt es vertragliche Vereinbarungen; diese, meint die Breisgau-Uni, binde auch alle anderen Kommissionsmitglieder. Die fünf Abgetretenen sehen das anders. Sie selbst, sagt Treutlein, hätten ja nie einen Vertrag unterzeichnet. "Dass die Kommissionsmitglieder ihre eigene Sicht der Dinge in einer gesonderten Publikation zur Kenntnis bringen werden, liegt auf der Hand", sagt Pharmakologe Sörgel.

Zurück bleiben Fragen. Haben die Widerstände gegen die Kommission auch mit der Intensität zu tun, in der sie sich mit den Missständen befasste? "Insbesondere die Rolle früherer CDU-Ministerpräsidenten und CDU-Landesminister sowie Leiter der Kliniken und Universität muss von der gesamten Kommission noch abschließend mit größter Sorgfalt geprüft und bewertet werden", teilte Paoli 2015 mit, als sie einmal mehr mit Vertretern von Uni und Landespolitik um die Fortsetzung ihrer Arbeit rang. Auch stellt sich die Frage, wie viele Aspekte abseits des Dopingkernes die Kommission entdeckte. Neben einem umfassenden Wissenschaftsbetrug tauchte etwa auch ein nicht bekanntes und offenbar eingestelltes Tötungsverfahren gegen Armin Klümper zu Beginn des Jahrtausends auf.

Klümper übrigens war nicht nur eine Zentralgestalt der deutschen Dopinghistorie, sondern auch Haus- und Hofarzt einflussreichster Personen im Breisgau, vom Minister bis zum Erzbischof.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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